team spiegel 2009; 16(1): 18-20
DOI: 10.1055/s-0029-1216298
Beruf & Freizeit

Kritik- und Konfliktkultur in der Tierarztpraxis

Dorothee Heckhausen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. April 2009 (online)

Für die meisten Mitglieder eines Praxisteams ist es ungewohnt, sich untereinander offene und konstruktive kritische Rückmeldung bezüglich der Arbeitsqualität oder des kommunikativen Miteinanders zu geben. Kleine Ärgernisse werden zurückgehalten und führen dann über den Mechanismus der selektiven Wahrnehmung zu einer Ausweitung des Problems. Fühlt sich eine Helferin z. B. von ihrem Chef ungerecht behandelt und drückt diese Kritik nicht offen aus, so wird sie auf Grund der selektiven Wahrnehmung in Zukunft verstärkt Situationen registrieren, die ähnlich gelagert sind, in denen sie sich also wiederum ungerecht behandelt fühlt. Anstatt die Situation mit einer konstruktiven Rückmeldung an den Tierarzt zu bereinigen, wird die Helferin immer ärgerlicher. Vielleicht macht Sie ihrem Chef gegenüber für diese unklare Andeutungen, wie z. B. „Sie sind aber auch schwer zufrieden zu stellen”. Irgendwann kann die aufgestaute Frustration der Helferin in einer vielleicht unpassenden Situation herausbrechen. Diese heftige Reaktion wird vom Tierarzt dann möglicherweise als unsachlich und übertrieben empfunden, was zu einer Zuspitzung des Konfliktes führt. Das Beispiel macht deutlich, dass nicht offen ausgesprochene kritische Wahrnehmungen chronische, langfristig eskalierende oder das Betriebsklima vergiftende Konflikte zur Folge haben kann. Diese wirken sich nicht nur auf die Mitarbeiterzufriedenheit, Arbeitsmotivation, Leistungsbereitschaft und Fehlzeitenquote, sondern auch auf die Kundenzufriedenheit und die Arbeitsqualität negativ aus.

Für eine erfolgreiche Kommunikation in der Praxis ist die Entwicklung einer konstruktiven Kritik- und Konfliktkultur notwendig. Hierzu gehört der nicht sanktionierende Umgang mit Kritik. Im Sinne der „lernenden Organisation” (siehe Kapitel zu Veränderungsvorhaben) darf bei Kritikgesprächen nicht die Schuldzuweisung, also wer den Fehler gemacht hat, im Vordergrund stehen, sondern wie man den Fehler nutzen kann, um Verbesserungsprozesse in der Praxis einzuleiten. Das gesamte Praxisteam muss verinnerlichen, dass Konflikte unvermeidbare und notwendige Aspekte der Zusammenarbeit sind, mit deren Hilfe Stagnation verhindert, Probleme aufgedeckt und konstruktive Veränderungen zum Nutzen des Praxisganzen ausgelöst werden. Der Tierarzt muss allerdings glaubhaft demonstrieren, dass er von seiner Mitarbeiterin nicht nur den konstruktiven Umgang mit Kritik fordert, sondern dass er ebenfalls bereit ist, sich mit Kritik an der eigenen Person auseinanderzusetzen und diese anzunehmen, wenn sie berechtigt ist. Ein Grundproblem beim Umgang mit Kritik ist das Bedürfnis beider Konfliktparteien, recht zu behalten. Jeder versucht, aus der Konfliktsituation als Gewinner herauszugehen. Das ist dann kein Problem, wenn sich eine Konfliktpartei unterwirft oder um des lieben Friedens willen nicht auf ihren Ansichten insistiert. In diesem Fall gibt es einen vermeintlichen Gewinner und einen vermeintlichen Verlierer. Die Folgekosten solcher Konfliktlösungen werden selten bedacht. Das Gefühl, verloren zu haben ist kränkend, kann Arbeitsmotivation und Arbeitsqualität senken und langfristig zur innerlichen Kündigung führen.

Das Gewinner-Verlierer-Denken in Kritikgesprächen beinhaltet die Annahme, bei Konfliktsituationen hätten die Beteiligten grundsätzlich gegensätzliche Interessen und Ziele. Eine mögliche Einigung wird also gar nicht erst angestrebt, weil sie nicht für möglich gehalten wird. Natürlich gibt es klare Fehler, z. B. wenn eine Helferin das falsche Instrument anreicht.

Häufig aber handelt es sich bei Konflikten um das Aufeinanderprallen verschiedener Ansichten und Meinungen, die bei einer sorgfältigen Klärung durchaus zu für die Praxis gewinnbringenden Kompromisslösungen führen können. In Kritikgesprächen muss also die subjektive Wahrnehmung des anderen verstanden und die eigene dargelegt werden, ohne dass darauf bestanden wird, eine dieser Ansichten vorschnell für objektiv richtig zu erklären. Bei einer Gewinner-Gewinner-Strategie gibt es keine Konfliktgegner, sondern nur Konfliktpartner. Das gemeinsame Ziel, zum Nutzen der Praxis zu handeln, wird in den Mittelpunkt der Klärung gestellt. Konkrete, alternative Lösungen werden gesucht, bewertet, realisiert und nach einer festgelegten Zeitspanne auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

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