Klinische Neurophysiologie 2009; 40 - P383
DOI: 10.1055/s-0029-1216242

Die unabhängige Kontrolle der Finger bei der Objektmanipulation bei Patienten mit zerebellärer Degeneration

B Brandauer 1, J Hermsdörfer 1, D Timmann 1
  • 1Essen, München

Eine essentielle feinmotorische Fähigkeit bei der Manipulation von Objekten ist die Kontrolle der einzelnen Finger und deren Kräfte. Die Kontrolle unabhängiger Fingerkräfte und -bewegungen wird eng in Zusammenhang mit dem pyramidalmotorischen System gesetzt. Aber auch Patienten mit Schädigungen des Kleinhirns berichten von einer Ungeschicklichkeit der Finger bei feinen alltäglichen Manipulationen. Welchen Einfluss das Kleinhirn spezifisch auf die unabhängige Fingerkontrolle hat, ist allerdings bisher unklar. Wenn ein Objekt ergriffen und angehoben wird, muss erstens die Kraft der vier Finger und des gegenüberliegenden Daumens hoch genug sein, damit das Objekt nicht aus der Hand rutscht, und zweitens muss die Verteilung der Kräfte auf beiden Seiten so sein, dass sich Drehmomente kompensieren und das Objekt nicht kippt. Um einen möglichen Einfluss des Kleinhirns auf die unabhängige Kontrolle der Finger zu untersuchen, wurde ein Messobjekt, das mit 5 Kraftsensoren für jeden Finger ausgestattet war, erst angehoben und anschließend wurde während des statischen Haltens entweder der Zeige- oder der Mittelfinger abgehoben. Dabei wurde die Kraftübernahme der anderen Finger in zeitlichen und „räumlichen“ Aspekten analysiert.

Die Stichprobe setzte sich aus 22 Patienten mit einer isolierten Kleinhirndegeneration und 22 geschlechts- und altersentsprechenden Kontrollpersonen zusammen.

Kurz vor dem eigentlichen Abheben, und auch während der Phase des Abhebens wurden die Kräfte der anderen Finger antizipatorisch und zeitlich synchron moduliert. Das Muster unterschied sich charakteristisch für die jeweilige Aufgabe. Bei Patienten mit einer Kleinhirndegeneration zeigten sich eher moderate Defizite. Die Verteilung der Fingerkräfte beim Abheben eines einzelnen Fingers zeigte erst eine Beeinträchtigung in der zeitlichen Nachregulation und auch nur, wenn der Mittelfinger, nicht aber, wenn der Zeigefinger abgehoben wurde.

Die Ergebnisse scheinen zu bestätigen, dass das Kleinhirn keine zentrale Rolle bei der Verteilung und Adjustierung der individuellen Fingerkräfte spielt. Eine Atrophie des Kleinhirns scheint demnach bei der Kontrolle unabhängiger Fingerkräfte eher zeitliche Aspekte zu beeinträchtigen, hingegen war die Modulation der Kräfte erhalten. Den Bewegungen liegen womöglich eher hochüberlernte, automatisierte Synergismen der Finger zugrunde, als Feedforward-Prozesse zur Berechnung der Konsequenzen von Handlungen.

Gefördert durch DFG TI 239/8–1 und HE 3592/4–1