Klinische Neurophysiologie 2009; 40 - P339
DOI: 10.1055/s-0029-1216198

Schmerz beansprucht Aufmerksamkeit – Eine EEG- und verhaltensbasierte Studie

L Tiemann 1, E Schulz 1, M Ploner 1
  • 1München

Die Zuwendung von Aufmerksamkeit auf sensorische Reize wurde mit neuronalen Gamma-Oszillationen (30–100Hz) im menschlichen Gehirn in Verbindung gebracht. Aktuelle Studien konnten zeigen, dass auch die stets subjektive und stark aufmerksamkeitsgeprägte und -beanspruchende Wahrnehmung von Schmerz mit Gamma-Oszillationen über somatosensorischen Kortizes einhergeht. In der vorliegenden Studie wurde die Assoziation zwischen Schmerz, Aufmerksamkeit und Gamma-Oszillationen bei konkurrierendem sensorischen input näher charakterisiert. Während der Ausführung eines aufmerksamkeitsfordernden visuellen Reaktionszeitparadigmas wurde bei 22 gesunden Probanden ein 64-kanaliges EEG abgeleitet. Bei der Hälfte der Trials wurden mittels kutaner Laserstimulation kurze Schmerzreize auf den linken Handrücken appliziert. Als Verhaltenskorrelat der unwillkürlichen Aufmerksamkeitseffekte von Schmerz führten die schmerzhaften Reize bei einigen, aber nicht allen Probanden zu einer Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe. Die mit der visuellen Aufgabe und der schmerzhaften Reizung assoziierte neuronale Aktivität wurde mittels Zeit-Frequenz-Repräsentationen analysiert. Die visuelle Stimulation führte zu Gamma-Oszillationen um 60Hz, die in der Area 18 des visuellen Kortex (beamformer tool, BESA) lokalisiert wurden. Die schmerzhaften Reize induzierten Gamma-Oszillationen um 80Hz im primären somatosensorischen Kortex. Bei Probanden, bei denen die schmerzhaften Reize zu einer Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe führten, zeigte sich zwischen 250 und 350ms nach den Schmerzreizen eine Verminderung der visuell-assoziierten Gamma-Oszillationen. Die Verminderung der visuellen Gamma-Oszillationen korrelierte mit der Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe. Diese Ergebnisse zeigen, wie Schmerz Aufmerksamkeit beanspruchende kognitive Abläufe stört und dies mit Änderungen neuronaler Gamma-Oszillationen einhergeht. Schmerzassoziierte Modulationen von Gamma-Oszillationen können somit als neurophysiologisches Korrelat der Aufmerksamkeitseffekte von Schmerz interpretiert werden.