Klinische Neurophysiologie 2009; 40 - P315
DOI: 10.1055/s-0029-1216174

Novelty-P3a als Korrelat präfrontaler Dysfunktion bei adultem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom

F Marzinzik 1, D Krüger 1, M Wahl 1, L Gentschow 1, M Colla 1, F Klostermann 1
  • 1Berlin

Fragestellung: Die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen ist eine fundamentale Verhaltensleistung, deren biologische Grundlagen mittels ereigniskorrelierter Potenziale (EKP) untersucht werden kann (Cycowicz and Friedman, 2004, Friedman et al., 2001). Grundsätzlich führt die Präsentation unerwarteter Reize (‘Novels’) zu einer Positivierung über fronto-zentralen Skalp-Regionen (Novelty-P3a). Innerhalb der Kategorie ‘Novel’ wird das Merkmal ‘unbekannt’ zusätzlich differenziert: Reize, die semantisch identifiziert werden können, evozieren niedrigere P3a-Amplituden als solche, die semantisch nicht identifizierbar sind (Mecklinger et al., 2000). An dieser Stelle wurde untersucht, ob bei erwachsenen Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und erhöhter Distraktibilität durch Außenreize die Verarbeitung von Novel-Reizen undifferenziert erfolgt.

Methode: In der vorliegenden Studie wurde die P3a nach identifizierbaren und nicht identifizierbaren Novel-Reizen untersucht. Dazu bearbeiteten 15 erwachsene ADS-Patienten sowie 15 alters- und bildungsgematchte Probanden ein visuelles Oddball-Paradigma, bestehend aus 520 randomisiert präsentierten Reizen der Kategorien (i) seltener Ziel-Reiz (11%), (ii) seltener Nicht-Zielreiz (11%), (iii) häufiger Nicht-Zielreiz (56%) und (iv) Novel-Reiz (22%). Nur auf Zielreize war mit einem Tastendruck zu reagieren. Post-hoc teilte jeder Versuchsteilnehmer die Novels in die Kategorien ‘identifizierbar’ versus ‘nicht identifizierbar’ ein.

Ergebnisse: Erwartungsgemäß evozierten nicht identifizierbare Novel-Reize bei gesunden Probanden eine größere P3a-Amplitude als identifizierbare (p<,05). Im Gegensatz hierzu evozierten nicht identifizierbare versus identifizierbare Novel-Reize bei ADS-Patienten keine unterschiedlichen P3a-Amplituden (p=0,36). Während die nicht identifizierbaren Novel-Reize bei ADS-Patienten und Gesunden zu ähnlichen P3a-Amplituden führten (p=0,32), evozierten identifizierbare Novel-Reize bei ADS-Patienten eine signifikant größere P3a-Amplitude als bei Gesunden (p<0,05).

Schlussfolgerungen: Adulte ADS-Patienten verarbeiten Novel-Reize weniger differenziert als gleichaltrige Gesunde. Die ebenso hohe P3a-Aktivierung nach identifizierbaren wie nach nicht-identifizierbaren Novel-Reizen bei ADS-Patienten könnte einer präfrontalen Dysfunktion entsprechen, die eine situativ angepasste Entscheidung über den Relevanzstatus eines Außenreizes erschwert und somit zu vermehrter Distraktibilität beiträgt.