Klinische Neurophysiologie 2009; 40 - P294
DOI: 10.1055/s-0029-1216153

Fallbericht: Up-Beat-Nystagmus als Ausdruck eines durch Physostigmingabe induzierten rechtsseitigen okzipitalen Status epilepticus und dessen Sistieren nach Gabe von Lorazepam

H Neugebauer 1, T Winkler 1, B Feddersen 1, T Pfefferkorn 1, S Noachtar 1, HW Pfister 1
  • 1München

Wir berichten von einer 66-jährigen bislang nicht-epileptischen Patientin mit bekanntem Schmerz- und Schlaftablettenmissbrauch, die komatös auf unserer neurologischen Intensivstation aufgenommen wurde. In der initialen Bildgebung (cCT, CTA mit Perfusion, cMRT) zeigte sich ein Normalbefund, im EEG kein Hinweis auf einen Status epilepticus. Klinisch bot sich das Bild eines anticholinergen Syndroms. Unmittelbar nach Physostigmingabe kam es unter EEG-Kontrolle neben einer Besserung der Vigilanz zu einem rechts okzipitalen Statusmuster. Klinisch trat dabei ein Up-Beat-Nystagmus auf. Nach Gabe von 2mg Lorazepam sistierten der Up-Beat-Nystagmus und das Statusmuster im EEG.

Epileptische Nystagmen (EN) entstehen durch Foci in Sakkaden-, Blickfolge- oder optokinetischen Regionen des frontalen und parieto-okzipitalen Kortex und zeigen im Erwachsenenalter in der Regel eine horizontale Schlagrichtung zur Gegenseite der epileptischen Aktivität. Rein vertikal schlagende Nystagmen wurden bislang nur bei generalisierten Funktionsstörungen des Gehirns (z.B. hepatische Enzephalopathie) oder als Ausdruck bilateraler epileptischer Aktivität (z.B. frontal) beobachtet. Ein vertikal schlagender EN als Ausdruck eines einseitigen okzipitalen Fokus wurde bislang nicht beschrieben.

Epileptische Anfälle sind eine typische Komplikation cholinerg wirkender Substanzen und werden durch eine Anhäufung von Acetylcholin im synaptischen Spalt mit konsekutiver Übererregbarkeit der Neuronen vermittelt. Obwohl eine schrittweise Ausbreitung der epileptischen Aktivität bei fokalem Anfallsbeginn pathophysiologisch durchaus möglich wäre, wurden für Physostigmin bislang nur generalisierte motorische Anfälle beschrieben.

Zu diskutieren ist die Entstehung eines Up-Beat-Nystagmus aufgrund eines rechts okzipitalen Status epilepticus. Denkbar wäre eine gleichzeitige Aktivierung korrespondierender okzipitaler Areale der Gegenseite oder eine bilaterale Aktivierung des frontalen Kortex über subkortikale und interhemisphärische Verbindungsfasern. Zudem könnte eine direkte Wirkung auf cholinerge Neurone des Hirnstamms mit Betonung der physiologischen vestibulären Tonusimbalanz, ähnlich dem Nikotin-induzierten Up-Beat-Nystagmus, auftreten.

Wir beschreiben hier erstmals den Fall eines durch Physostigmingabe ausgelösten rechts okzipitalen Status epilepticus. Bei Gabe von Physostigmin sollte das Auftreten eines Status epilepticus bedacht werden, der durchaus mit nur milder klinischer Symptomatik manifest werden kann.