Einleitung: Mit einer Prävalenz von 13–20% gehören Verzögerungen in der Sprachentwicklung zu
den häufigsten Entwicklungsauffälligkeiten im Kleinkindalter. Ob für diese Kinder
ein Risiko für die weitere Entwicklung besteht und deshalb eine Frühidentifikation
erforderlich ist, wird momentan vielfach diskutiert. Grundlage der Kontroverse ist
die Tatsache, dass es einem Teil der Kinder gelingt, den sprachlichen Rückstand spontan
aufzuholen, während andere längerfristig Schwierigkeiten im Spracherwerb aufweisen.
In der Diskussion weitgehend unberücksichtigt bleibt der Fakt, dass die Gruppe der
sprachentwicklungsverzögerten Kinder sehr heterogen ist, da Verzögerungen im Spracherwerb
sowohl isoliert als auch im Rahmen von Primärerkrankungen (z.B. allgemeine Entwicklungsretardierung,
tiefgreifende Entwicklungsstörung) auftreten können.
Methode: 100 zweijährige Kinder – bei der U7 anhand des ELFRA-2 als sprachentwicklungsverzögert
identifiziert – wurden ausführlich differenzialdiagnostisch hinsichtlich ihrer sprachlichen
und nonverbalen kognitiven Fähigkeiten untersucht. Desweiteren erfolgten eine pädaudiologische
und eine neurologische Untersuchung.
Ergebnisse: Nur bei 61% der Kinder bestätigte sich der Anfangsverdacht einer isolierten Beeinträchtigung
in den sprachproduktiven Fähigkeiten. 18% der Kinder wiesen zusätzlich leichte bis
deutliche Beeinträchtigungen in den nonverbalen kognitiven Fähigkeiten auf, weitere
4% erfüllten die Kriterien eines frühkindlichen Autismus.
Schlussfolgerung: Aufgrund dieser Ergebnisse kann die „Wait-and-See“ Strategie bei einer verzögerten
Sprachentwicklung nicht ohne Bedenken empfohlen werden. Ein verzögerter Sprechbeginn
kann Ausdruck verschiedener Entwicklungsprobleme sein. Für eine adäquate Beratung
der Eltern und die Einleitung einer störungsspezifischen Therapie ist eine umfassende
Differenzialdiagnostik notwendig. Ein pragmatisch-diagnostischer Prozess wird vorgeschlagen.