Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2009; 41(1): 31-32
DOI: 10.1055/s-0029-1213510
Praxis
Das Interview
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Es gibt inzwischen eindeutige Nachweise eines klinischen Nutzens bestimmter Tumor-Impfstoffe”

Tumorimmunologie
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Publication Date:
31 March 2009 (online)

Unser Gesprächspartner: Prof. Dr. rer. nat. Volker Schirrmacher

Studium der Biochemie; Forschungsaufenthalte in Schweden und England; seit 1976 Leiter der Abteilung für Zelluläre Immunologie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, 1979 Habilitation in Immunologie an der Fakultät für Pharmazie der Universität Heidelberg; 1986 Berufung zum Ordinarius; Schwerpunktgebiete: Immunologie, Tumorimmunologie, Tumor-Metastasierung.

DZO: Was ist von der anfänglichen Begeisterung für den Bereich Tumorimmunologie wirklich übrig geblieben?

Prof. Schirrmacher:

Vor etwa 20 Jahren, als wir bereits mit der aktiv-spezifischen Immunisierung (ASI) von Krebspatienten begannen, war die Tumorimmunologie vergleichbar einem Buch mit sieben Siegeln. Weder war der Rezeptor auf T-Lymphozyten, mit dem diese wichtigen Abwehrzellen ein Antigen z.B. von Viren oder Bakterien oder auch von körpereigenen Tumorzellen spezifisch erkennen können, bekannt, noch die Natur des Antigens, z.B. eines mit einem Tumor-assoziierten Antigen (TAA). Dennoch hatten wir an einem besonders bösartigen Tiertumor, den wir als Forschungsmodell benutzten, zeigen können, dass eine post-operative Immunisierung mit einem neuartigen, aus dem gleichen Tumor hergestellten Impfstoff – eine durch Virusinfektion modifizierte Tumorvakzine – das Langzeitüberleben der Metastasen-tragenden Tiere deutlich verbesserte. Das bildete den Ausgangspunkt für unsere Begeisterung für dieses spannende Fachgebiet.

Inzwischen ist aus der Tumorimmunologie eine richtige Wissenschaft geworden. Mithilfe molekurbiologischer Methoden konnte sowohl die Identität des T-Zell-Rezeptors wie auch die Struktur von TAAs aufgeklärt werden. Einige Komponenten des Immunsystems, wie z.B. monoklonale Antikörper, Zytokine und Interferone, haben als neue „biologicals” bereits Einzug in den klinischen Alltag gefunden.

Aus der pharmazeutischen Industrie gibt es eine umfangreiche Recherche über Vakzine, die die Vorhersage macht, dass sich Vakzine (inklusive Tumorvakzine) in der Periode 2008 – 2023 zu einem der schnellst wachsenden Segmente auf dem pharmazeutischen Markt weltweit entwickeln werden. Die treibende Kraft dahinter wird in der Kosteneffizienz von Vakzinen bei der Bekämpfung von Krankheiten gesehen.

Aus der anfänglichen Begeisterung ist also mehr geworden, als man damals hat annehmen können.

DZO: Mit welchen Methoden kann man die vielfältigen Tumor-Escape-Mechanismen am ehesten versuchen zu umgehen?

Prof. Schirrmacher:

Es gibt sicher kein Patentrezept hierzu. Generell gilt aber, je früher man mit einer immuntherapeutischen Maßnahme beginnt und je kleiner der zu bekämpfende Tumor oder Resttumor ist, umso besser sind die Chancen für einen Effekt. Aus diesem Grunde haben wir den Impfstoff bei Patienten immer postoperativ eingesetzt und nicht an austherapierten Patienten mit Tumor. Es gab in Deutschland keine Schwierigkeiten, für diese Vorgehensweise ein positives Votum von klinischen Ethikkommissionen zu bekommen.

Neuere Erkenntnisse aus der tumorimmunologischen Grundlagenforschung weisen darauf hin, dass Tumore über die Ausschüttung von Zytokinen wie Interleukin-10 oder TGF-β die körpereigene Immunabwehr in eine falsche Richtung polarisieren. Ein weiterer Escape-Mechanismus, der z.Z. sehr intensiv erforscht wird, ist die Induktion von sog. regulatorischen T-Zellen (Treg). Derartige Zellen verhindern normalerweise die Entstehung von Autoimmunerkrankungen, können vom Tumor aber benutzt werden, um antitumorale Abwehr-T-Zellen zu neutralisieren. Es gilt als neues therapeutisches Ziel, den ungünstigen Einfluss oben genannter Zytokine und den von Treg-Zellen zu neutralisieren.

DZO: Was ist Ihre Meinung: Sollte man eher spezifische Antikörper einsetzen, Maßnahmen zur unspezifischen Modulation aber eher nicht?

Prof. Schirrmacher:

Wie schon erwähnt, werden spezifische Antikörper bei einigen Tumorerkrankungen bereits klinisch eingesetzt. Als weiteres spezifisches Werkzeug könnten in Zukunft antitumorale T-Zellen hinzukommen. Derartige Zellen können aus dem Blut oder aus Knochenmarksaspirat von Patienten gewonnen werden und außerhalb des Körpers (ex vivo) spezifisch aktiviert werden, bevor sie dem Patienten zurückgegeben werden. Eine entsprechende erste, von uns initiierte Studie mit Knochenmarks-T-Zellen läuft in Heidelberg. Bei der allogenen Knochenmarkstransplantation können ähnliche T-Zellen einen sog. „Graft versus Leukämie”-Effekt erzeugen. Auch die Immunisierung mit TAA-beladenen dendritischen Zellen zielt auf die Induzierung und Aktivierung spezifischer T-Lymphozyten. Maßnahmen zur unspezifischen Modulation möchte ich auch nicht ausschließen. Diese bedürfen aber eines immunologischen Experten und sollten durch Immun-Monitoring-Methoden begleitet werden. Die Regulationsmechanismen innerhalb des Immunsystems sind sehr komplex, daher könnte bei unsachgemäßer Vorgehensweise auch Schaden entstehen.

DZO: Vielerorts wird anstelle der ASI nur noch die Tumorimpfung mit dendritischen Zellen durchgeführt. Wie schätzen Sie den Stellenwert der dendritischen Zellen im Vergleich zu ASI für den klinischen Einsatz ein?

Prof. Schirrmacher:

ASI steht für Aktiv-Spezifische Immunisierung. Es ist richtig, dass die erste Generation von Impfstoffen zu diesem Zweck aus Tumormaterial gewonnen wurde, während in jüngster Zeit vermehrt dendritische Zellen (DZ) zu diesem Zweck Verwendung finden. DZ sind als „Profis” für die Induktion von T-Zell-Immunantworten besser geeignet als Tumorzellen. Die Frage bleibt aber, woher die TAA stammen, mit denen die DZ beladen werden müssen, damit sie spezifisch antitumorale T-Zellen induzieren. Auch müssen die DZ im richtigen Reifungsstadium und aktiviert sein, damit es nicht zum Gegenteil, nämlich zur Toleranzinduktion und damit zur Verhinderung einer spezifischen Immunantwort, kommt. Ich freue mich, dass es jetzt in Deutschland verschiedene Institute und auch Praxiskliniken gibt, die u.a. DZ zur Tumorbehandlung von Patienten im Rahmen eines individuellen Heilversuches anbieten. Die Erfahrungen mit derartigen neuen biologischen Therapieverfahren können für die zukünftige Weiterentwicklung solcher Strategien sehr nützlich sein.

DZO: Sind die verschiedenen Verfahren wirklich von klinischem Nutzen – oder nur für hoch selektive Fälle geeignet?

Prof. Schirrmacher:

Ob die immuntherapeutischen Verfahren wirklich von klinischem Nutzen sind, lässt sich nur durch randomisierte, prospektive klinische Studien herausbekommen. Wir haben kürzlich die Ergebnisse derartiger weltweit durchgeführter Studien analysiert und in einem Review publiziert [1]. Von 33 spezifischen Impfstoffprodukten, die auf diese Weise evaluiert worden sind, zeigten 8 einen positiven Effekt auf das Überleben. Interessanterweise waren 7 von diesen 8 Produkten Impfstoffe, die individuelle TAAs des patienteneigenen Tumors enthielten.

Um ein Beispiel zu nennen: Der von uns entwickelte patienteneigene Impfstoff ATV-NDV (= Autologe Tumor-Vakzine, durch Newcastle Disease Viren modifiziert): Patienten mit histologisch gesicherten Lebermetastasen von Dickdarmkrebs wurden nach einem standardisierten Zufallsverteilungsverfahren (Randomisierung) entweder einem ATV-NDV-Vakzinierungsarm oder einem Kontrollarm zugeordnet. Nach kompletter Resektion der Lebermetastasen erhielten die Patienten des Vakzinierungsarms 6 Impfungen innerhalb der ersten 6 Monate. Nach einer langen Nachbeobachtungszeit von mehr als 10 Jahren hatten die vakzinierten Patienten einen signifikanten Vorteil in Bezug auf das Gesamtüberleben sowie auf das metastasenfreie Überleben [2].

Ihre Frage kann also dahingehend beantwortet werden, dass es inzwischen eindeutige Nachweise eines klinischen Nutzens bestimmter Tumorimpfstoffe gibt, dass es aber sehr auf die Qualität und geeignete spezifische Zusammensetzung eines Impfstoffes ankommt. Immerhin zeigte die Mehrzahl der getesteten Impfstoffprodukte, darunter viele, die von Pharmafirmen entwickelt wurden, in randomisierten klinischen Studien keinen positiven Effekt.

DZO: Wie lange hält Ihrer Erfahrung nach die Wirksamkeit dieser Methoden an?

Prof. Schirrmacher:

In dem oben genannten Beispiel hielt der Effekt der Vakzinierung erstaunlich lange an. Wir vermuten, dass dieses darauf zurückgeführt werden kann, dass in den Patienten durch die Vakzinierung ein protektiv wirksames antitumorales immunologisches Gedächtnis aufgebaut wurde. In einigen Studien konnten wir bei Langzeitüberlebenden in der Tat ein derartiges, auf spezifischen T-Zellen basierendes immunologisches Gedächtnis nachweisen. Es bedarf noch vieler Studien, um herauszubekommen, wie ein Impfstoff beschaffen sein muss, um wirksam zu sein und um langfristige Effekte zu erzielen.

DZO: Wenn Sie die Gesamtheit der angebotenen Therapien betrachten: Welche Behandlungsstrategien halten Sie bei der Behandlung von Krebserkrankungen für am geeignetsten?

Prof. Schirrmacher:

Ich halte es für wichtig, dass Standardtherapien wie Chemo- oder Strahlentherapie, die immunsupprimierende Nebeneffekte erzeugen, durch begleitende biologische Maßnahmen ergänzt werden, die geeignet sind, das geschädigte Immunsystem zumindest teilweise wieder aufzubauen. Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass möglichst bald eine Immuntherapie entwickelt wird, deren Produkt eine Zulassung als Arzneimittel erhält, die dann als neuer Standard das Spektrum angebotener Krebstherapien um ein biologisches Verfahren erweitern würde.

DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Schirrmacher:

Ich versuche mich immer positiv zu motivieren, insbesondere um der täglichen Flut von negativen Nachrichten aus den Medien zu begegnen. Familie, Freunde, Musik, Natur und Sport sind für mich einfach wichtig und unverzichtbar. Vielleicht kann das auch für manch anderen ein „Erfolgsrezept” zum Gesundbleiben darstellen.

DZO: Herr Prof. Schirrmacher, vielen Dank für das Gespräch.

Literatur

  • 01 Fournier P, Schirrmacher V. Expert Reviews Vaccines.  2009;  8 (1) 51-66
  • 02 Schulze T. et al . Cancer Immunology Immunotherapy.  2009;  58 (1) 61-69

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. rer. nat. Volker Schirrmacher

Forschungsschwerpunkt
Tumorimmunologie
Deutsches Krebsforschungszentrum

Im Neuenheimer Feld 280

69120 Heidelberg

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