DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2009; 7(01): 4-5
DOI: 10.1055/s-0029-1202311
Life
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Im Gespräch mit...Michael Kuchera

Richard Weynen
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 January 2009 (online)

Michael Kuchera, wie kamen Sie zur Osteopathie?

Oh, das ist eine leichte und zugleich auch schwere Frage. Mein Großvater war ein osteopathischer Arzt. Er hatte 1928 in Des Moines promoviert. Mein Vater trat in seine Fußstapfen und promovierte 1958 in Kirksville, und so wusste ich, als ich aufs College kam, dass die osteopathische Medizin auch für mich eine Möglichkeit darstellte. Trotzdem tat ich alles Erdenkliche nach dem Motto: Vielleicht sollte ich etwas anderes machen, denn ich möchte nicht nur Arzt werden, weil sie es auch waren. Ich machte meinen Abschluss in Geschichte und Zoologie und begann auch noch mit Biomedizintechnik, als mir klar wurde, dass ich Menschen liebe und dass ich als Arzt all dies miteinander verbinden kann. Dann musste ich noch entscheiden, ob ich ein klassischer oder ein osteopathischer Arzt werden wollte. Ich hab mir beides angeschaut und nachdem ich mir überlegt hatte, was ich wollte und wie ich die Menschen behandeln wollte, beschloss ich D.O. zu werden. So bewarb ich mich in Kirksville. Der Rest ist bekannt.

Es gibt also eine lange osteopathische Tradition in Ihrer Familie.

Ja, das kann man so sagen.

Wie üben Sie Osteopathie heute aus?

Meine Tätigkeit hat sich seit 1997 etwas verändert. Zunächst war ich zu je einem Drittel mit Lehre, Forschung und Therapie beschäftigt. Doch während meiner Zeit als Dekan des Kirksville College of Osteopathic Medicine hatte ich keine Patientenkontakte. Die gesamte Zeit ging für administrative und akademische Belange drauf, sodass ich praktisch vier Jahre lang keine Patienten zu Gesicht bekam. Inzwischen bin ich Leiter der osteopathischen Forschung des Philadelphia College of Osteopathic Medicine. Alle Patienten, denen ich jetzt begegne, sind Teilnehmer meiner Forschungsarbeiten. Das bedeutet, dass ich für mehrere Wochen hintereinander etwa nur Parkinson–Patienten sehe oder die diagnostischen EMGs bei Patienten mit Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom durchführe. Manchmal trete ich den Patienten als Arzt mit manuellen Techniken gegenüber, manchmal als „verblindeter” Forscher und manchmal palpiere ich lediglich ihre somatische Dysfunktion, aber es bleibt immer ein Teil dessen, was ich unterrichte. Mit jedem Patienten, dem ich begegne, lerne ich mehr und bin meinen Studenten ein besserer Lehrer.

Jede Veränderung bedeutete also eine Veränderung Ihrer Tätigkeit?

Während der ersten sieben Berufsjahre arbeitete ich in einer Hausarztpraxis, wo mir auch pädiatrische, gynäkologische und andere Fachgebiete vertraut wurden. Ich unterrichtete zwar OMT, war aber kein Spezialist für manuelle Medizin. Ich war ein Allgemeinarzt, der die osteopathische Behandlung überall einbezog. Nach sieben Jahren beschloss ich dann, mich zu spezialisieren und absolvierte die erforderlichen Prüfungen in osteopathischen manuellen Techniken, sodass dies zu meinem Fachgebiet wurde.

Sie müssen sich spezialisieren?

Nein, die Ärzte erlernen die osteopathische Theorie und die Methoden und wenden sie nach ihren Vorstellungen in der Praxis an. Wenn ich mich nicht spezialisiert hätte, hätte ich weiterhin oft osteopathische manuelle Techniken angewandt. Doch als Spezialist erlangte ich die Qualifikation zur Leitung des Fachbereichs der manuellen Medizin und habe meine eigenen Assistenzärzte.

Was fasziniert Sie an der Osteopathie am meisten?

Dass es sich um eine Lebensweise handelt und zwar je mehr man über die Bedeutung der Lehrsätze für das eigene Leben nachdenkt. Wie organisiert man z.?B. ein Ausschussmeeting? Die Struktur des Ausschusses bestimmt, wie gut er funktioniert. Oder durch Analyse der Funktion des Ausschusses ergibt sich die Auswahl seiner Mitglieder. Wenn man diese Dinge auf das Berufsleben, auf das Patientenleben und auch auf das Familienleben anwendet, entsteht daraus eine Lebensweise.

Eine Art Philosophie?

Ja, es ist eine Philosophie. Sie erlaubt einem, viele Dinge von anderen Philosophien oder anderen Therapierichtungen zu übernehmen und sie mit etwas zu verbinden, das einen Sinn ergibt, etwas, das sich im Herzen und im Kopf richtig anfühlt.

Welche Visionen haben Sie für die Osteopathie?

Nun, ich war immer ein Optimist und ich glaube, dass die Osteopathie das ist, was der Medizin insgesamt fehlt. Deshalb bin ich auch international aktiv. Ich denke, dass der Beruf des Osteopathen, wie Still ihn ursprünglich sah, einen Beitrag zur Veränderung der gängigen Medizin leisten sollte, nicht nur bei uns, sondern international. Unsere Studenten leisten in vielen Ländern, denen es an Technologie mangelt, Entwicklungshilfe. Die osteopathische Philosophie und die damit verbundenen Techniken, die sie mitbringen, bieten diesen Ländern und ihren Menschen etwas Besonderes. Gleichzeitig entfernt sich die medizinische Wissenschaft von der „Krankheit” und „Störung”. Bis vor Kurzem schien es nur diesen Blickwinkel auf den Unterschied zwischen Gesundheit und Krankheit zu geben. Doch ich glaube, dass wir allmählich verstehen, dass viele Infektionen eine Kettenreaktion sind oder etwas in uns auslösen, das dann zur Krankheit führt. Damit bewegen wir uns zum zentralen osteopathischen Konzept zurück, nach dem der Patient der wichtigste Teil der Gleichung ist. Jetzt beginnen wir nach Dingen wie der endothelialen Stickoxidsynthase (eNOS) zu suchen, die vielleicht einer jener Wirkmechanismen ist, die unseren manuellen Eingriffen zugrunde liegen. Wissen Sie, eNOS ist ein hübsches, kleines Homöostasemolekül, das bei der kardiovaskulären Steuerung hilfreich ist. Es unterstützt die Down–Regulierung unserer Entzündungsreaktionen. Es wäre toll, wenn dessen Aktivierung mit manuellen Techniken möglich wäre!

Sollten Studenten von Beginn an mehr über die medizinischen Grundlagen erfahren? Nicht, weil sie es müssen, sondern damit sie diese bei ihrer späteren Arbeit wirklich anwenden wollen.

Wir haben kaum Einfluss auf die Beweggründe einer Person. Aber wir können beeinflussen, wie wir unsere Liebe zu Patienten und unser Wissen der Philosophie, Wissenschaft und Kunst darstellen. Es geht weniger darum, was man lernt, als darum, wie man versucht auf jedem Gebiet der Heilung vorwärtszukommen. Das ist es, was einen zum Arzt macht. Und wäre ich ein schlechter Lehrer, ich bin mir sicher, wir würden immer noch großartige Studenten hervorbringen. Aber wir müssen auch die richtigen Studenten für den Beruf auswählen. Das sind jene, die sich von Natur aus um andere sorgen. Natürlich kann ich ihnen die Seitneigung links oder die Rotation nach rechts beibringen, aber ich kann ihnen nicht zeigen, wie sie sich um eine andere Person sorgen sollten, was es heißt an Körper, Seele und Geist zu glauben. Das bringen sie schon mit, wenn sie zu uns kommen.

Entwickelt sich so etwas nicht mit Beginn der Osteopathieausbildung?

Manche Personen beginnen die Osteopathieausbildung mit einer guten Vorstellung davon, wie sie einmal werden möchten, während andere kein klares Bild der Osteopathie haben und diese erst später lieben lernen. Am Kirksville College riefen wir ein Programm ins Leben, das sich „StillWell” nannte und zur Nummer 1 unter den Wellness–Programmen aller Universitäten wurde. Ich halte Wellness–Programme an Osteopathieschulen für sehr wichtig, da sie Studenten daran erinnert, nicht den Blick für sich selbst zu verlieren und ihre eigene körperliche und geistige Gesundheit und ihr emotionales Wohlbefinden im Auge zu behalten. Denn wenn sie dazu nicht für ihr eigenes Leben in der Lage sind, wie können sie dann jemand anderem helfen? Das ist es, worum es bei uns als osteopathische Ärzte geht.

Erzählen Sie uns etwas über Ihr Privatleben?

Ich bin seit knapp 30 Jahren verheiratet, habe vier Kinder und zwei Enkel. Glücklicherweise versteht meine Frau, dass ich, auch wenn ich meine Familie bedingungslos liebe, auch meine Arbeit genauso liebe, wobei Letztere vielleicht sogar noch eifersüchtiger auf meine Zeit ist. Vor vielen Jahren fand ich eines Abends einen kleinen Spruch in meinem Schmuckkästchen wieder, den ich kurz nach meiner Hochzeit aufgeschrieben hatte: „Gott: Nr. 1, Familie: Nr. 2, Arbeit: Nr. 3”. Und mir wurde klar, dass ich in den zwei Jahren meiner beruflichen Tätigkeit ziemlich herumgeflippt bin, wahrscheinlich, weil Gott am leichtesten vergibt, die Familie am zweitleichtesten und der Job nichts vergibt. So weise ich oft meine Studenten darauf hin, nicht dieselben Fehler zu machen wie ich. Sie sollten erkennen, dass man sich Zeit für die Familie nehmen muss, oder darauf hoffen einen sehr verständnisvollen und nachsichtigen Partner zu finden, was mein Glück war.

Michael Kuchera, vielen Dank für dieses Gespräch.

Zoom Image
Abb. 1