Klin Padiatr 2009; 221(2): 51
DOI: 10.1055/s-0029-1192039
Editorial

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Bilaterale Plexuslähmung bei einem Frühgeborenen: Was ist neu?

Bilateral Obstetric Brachial Plexus Paralysis: What's New?L. Gortner
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Publication Date:
04 March 2009 (online)

Während die Häufigkeit der Plexusparese bei reifen Neugeborenen rückläufig ist [4] – dies ist nach aktuellen Daten der größeren Häufigkeit der Sectio caesarea bei cephalo-pelvinem Missverhältnis mit drohender Schulterdystokie zuzuschreiben [5] [8] – ist die perinatal erworbene Läsion bei sehr kleinen Frühgeborenen selten, aber in den langfristigen Konsequenzen noch gravierender als bei Reifgeborenen [5].

Die bilaterale Plexuslähmung ist wesentlich seltener als die unilaterale Form, jedoch noch weitaus schwerwiegender hinsichtlich der Langzeitprognose [1].

Operative Therapieverfahren der Plexusläsionen wurden systematisch seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts eingeführt [6] und mit zunehmender Verbesserung der perioperativen Diagnostik und Therapie sowie der operativen Methoden in der laufenden Dekade zunehmend Standard [7] [12].

In der vorliegenden Ausgabe der klinischen Pädiatrie berichtet die Erlanger Gruppe über die Therapieresultate der operativen Versorgung einer bilateralen Plexuslähmung bei einem sehr kleinen Frühgeborenen [3]. Die Autoren belegen eindruckvoll, dass die motorischen Funktionen nach der operativen Behandlung eklatant verbessert wurden und die motorischen Fortschritte des betroffenen Kindes als außerordentlich gut einzuschätzen sind. Obschon die exakte Pathogenese der bilateralen Störung der Plexusfunktion des Frühgeborenen nicht in der wünschenswerten Exaktheit eingegrenzt werden konnte, sind in erster Linie mechanische Faktoren zu diskutieren.

Die vorliegende Kasuistik hat zwei wesentliche Implikationen, die eines Kommentars wert sind:

Vorausgesetzt die mechanische Alteration ist der wesentliche pathogenetische Faktor der vorliegenden bilateralen Plexusläsion, ist dies ein erneuter deutlicher Hinweis für die Fragilität sehr kleiner Frühgeborener. Neben den bedrohlichen Implikationen von Hirnblutungen und periventrikulären Leukomalazien hinsichtlich der akuten Morbidität und der Einschränkung langfristiger psychomotorischer Entwicklungspotenziale sehr kleiner Frühgeborener [10] [11], betont diese Kasuistik den Stellenwert sehr kleiner Frühgeborener als eine relevante Risikogruppe in der Perinatologie für die Strukturen des peripheren Nervensystems, zum Teil bedingt durch mechanische perinatale Alterationen. Daher ist dem Risikofaktor der Fragilität sehr unreifer Frühgeborener sowohl in der Geburtsmedizin als auch in der Neonatologie unter dem Aspekt der Prävention neurologischer Läsionen Rechnung zu tragen.

Weiterhin ist die Adaptation neuer, teils experimenteller Therapieformen – im vorliegenden Fall operativer Verfahren – für sehr kleine Frühgeborene ein kritischer Faktor. Aufgrund der Seltenheit der bilateralen Plexusläsionen sind naturgemäß prospektive randomisierte Studien mit adäquaten Fallzahlen schwierig umsetzbar. Andererseits sind in den genannten Bereichen Wissensgewinn und damit Fortschritte nur realisierbar, wenn diese Verläufe systematisch beschrieben, gesammelt und dokumentiert werden. Als wesentliche Messgrößen des Therapieerfolgs sind hier neben der Verbesserung der motorischen Funktionen als primäres Ziel der Therapie die Verbesserung der langfristigen Lebensqualität zu werten [2] [9]. Hierzu soll die Kasuistik ein Anstoß sein.

Literatur

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  • 6 Hentz VR, Meyer RD. Brachial plexus microsurgery in children.  Microsurgery. 1991;  12 175-185
  • 7 MacNeely PD, Drake JM. A systematic review of brachial plexus surgery for birth-related brachial plexus injury.  Pediatr Neurosurg. 2003;  38 57-62
  • 8 Raio L, Ghezzi F, Di NE. et al . Perinatal outcome of fetuses with a birth weight greater than 4 500 g: an analysis of 3 356 cases.  Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2003;  109 160-165
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  • 10 Schlosser RL, Krackardt B, Weber J. et al . Impact of preterm infants of less than 30 weeks gestation on the prevalence of special education in school beginners of a German city (Frankfurt/Main).  Klin Padiatr. 2008;  220 57-60
  • 11 Strassburg HM, Leimer S, Platz A. et al . Long-term prognosis of former very and extremely preterm babies in adulthood in Germany.  Klin Padiatr. 2008;  220 61-65
  • 12 Vekris MD, Lykissas MG, Beris AE. et al . Management of obstetrical brachial plexus palsy with early plexus microreconstruction and late muscle transfers.  Microsurgery. 2008;  28 252-261

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ludwig Gortner

Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin

Universitätsklinikum des Saarlandes

66421 Homburg/Saar

Email: ludwig.gortner@uks.eu

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