Geburtshilfe Frauenheilkd 2009; 69(9): 803-806
DOI: 10.1055/s-0029-1186139
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Führt die Ökonomisierung der Medizin zu einer Ökonomisierung der Ethik?

Does a Utilitarian Healthcare System Lead to a Commodification of Medical Ethics?U. R. Kleeberg1
  • 1Hämatologisch-Onkologische Praxis Altona, HOPA Tagesklinik Struenseehaus, Hamburg
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Publication History

eingereicht 21.8.2009

akzeptiert 23.8.2009

Publication Date:
21 September 2009 (online)

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Zusammenfassung

Der demografische Wandel wird schon mittelfristig die einnahmen- und ausgabenseitigen Belastungen der Krankenversicherung weiter derart verstärken, dass unser solidarisches Gesundheitssystem nicht nur kontinuierlich ergänzt, sondern neu geordnet werden muss. Die Frage ist, ob der mit den vergangenen und der jüngsten „Gesundheitsreform“, dem „Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV‐WSG)“, eingeschlagene Weg hin zu einer Staatsmedizin mit gewinnorientierter, marktwirtschaftlicher Zentralisierung der „Leistungsträger“ dem Bedarf und v. a. den Bedürfnissen seiner Bürger gerecht wird. Die „regulative Kraft des Marktes“ soll die Qualität der Versorgung verbessern und die Kosten reduzieren. Einer Ökonomisierung unter dem Primat der Kostenkalkulation fallen aber Werte zum Opfer, die wir in Deutschland weiter vertreten müssen. Was sich nicht rechnet, findet nicht statt, und die ökonomisch begründete Abwicklung der Fachärzteschaft, der wir die Qualität der medizinischen Breitenversorgung danken, resultiert in einem Novum, dem ärztlichen Prekariat. Eine solche Gesundheitspolitik ist fruchtbarer Boden für die Dominanz einer utilitaristischen Gesundheitsökonomie, der Kollektivnutzen vor Individualnutzen geht. Wirtschaftspolitische statt soziale Legitimierung, Kosteneffizienz vor Caritas mit ethisch verbogenen Wertvorstellungen von Humanitas sind die Folge: Das Unwort des Jahres 1992 vom „sozialverträglichen Frühableben“ ist inzwischen zur Triebfeder von Krankenhausmanagern und Gesundheitsfunktionären geworden, ohne dass sie dies begreifen. Damit verbunden ist die Gefahr einer „Ökonomisierung der Ethik“, wie sie im europäischen Umfeld um sich greift. Wir Deutsche, die wir die unsägliche Diktatur der Nazis erfuhren, die „lebensunwertes Leben“ definierten und 200 000 Behinderte umbrachten, müssen auf solche Entwicklungen hochsensibel reagieren. Wir brauchen schlichte, fürsorgliche Hilfe zum Leben, nicht die von Gesundheitspolitikern hochgelobte „Hollandisierung“ unseres Gesundheitssystems.

Abstract

Future demographic changes will markedly increase the financial burdens on the German healthcare system, which is currently still financed by the general public, and may have a critical impact on the system. Thus, instead of a spate of new, ideologically motivated health laws only marginally adapted to our current needs, we need a fundamental structural reform which would prioritize necessities without sacrificing individual needs. The current policies which include centralization in a government directed healthcare system, the dominance of a free market economy with preeminence given to the regulatory powers of the market over the values of a social economy, the planned large scale abolition of German medical specialists (Facharzt), to whom we owe the high quality of our communally available healthcare, a centralized medicine in which preeminence is given to regulatory bodies, the idolization of QALY (quality-adjusted life years) and a cost/utility philosophy as the basis for a collective, utilitarian healthcare system will lead to a commodification of ethics in medicine. Such a development has already been observed in some of Germany's European neighbors with, amongst other triage measures, euthanasia as a cost efficient and practical tool in palliative medicine. As a country which experienced the unspeakable horrors of Nazi dictatorship including the designation of “lives unworthy of life” and the extermination of 200 000 disabled persons, we must react extremely sensitively to any developments which could lead to the slippery slope of bending ethical standards to fit economic needs.

Literatur

Prof. Dr. U. R. Kleeberg

Hämatologisch-Onkologische Praxis Altona
HOPA Tagesklinik Struenseehaus

Mörkenstraße 47

22767 Hamburg

Email: urkleeberg@hopa-hamburg.de