Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9(4): 199
DOI: 10.1055/s-0028-1121906
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Blitzlicht - Was kümmern uns die Entwicklungen der modernen Onkologie?

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Publication Date:
19 December 2008 (online)

 

Im Oktober 2008 fand in Wien die Jahrestagung der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie statt. Welche Auswirkungen haben die dort vorgestellten Therapiekonzepte auf die palliativmedizinische Versorgung?

Mehr als je zuvor stand der diesjährige deutschsprachige Onkologenkongress unter den Vorzeichen der jüngsten medikamentösen Therapieentwicklungen in der Onkologie; nicht die zytotoxisch wirkenden Chemotherapeutika, sondern Zellregulationsvorgänge modifizierende, "zielgerichtete" Substanzen (targeted therapies) ließen (nicht nur bei den allzu reichlich vertretenen Pharmafirmen) Aufbruchstimmung aufkommen. In Situationen, in denen bislang kaum sinnvolle oder zumutbare onkologische Therapieoptionen existierten, wie z. B. bei rezidivierten / metastasierten Kopf-Hals-Tumoren, werden ungeahnte Ansprechraten erzielt. Medikamentöse Optionen bei Hirnmetastasen oder Meningeosis tun sich auf. Risikoadaptiertes Vorgehen wird um molekulargenetisches Profiling ergänzt, um absehbar unwirksame oder nebenwirkungsträchtige Tumortherapien zu vermeiden. Ältere Patienten rücken zunehmend in den onkologischen Blickpunkt. Bis zu 500 neue antineoplastisch wirkende Substanzen sollen sich bereits in der klinischen Erprobung befinden [1].

Was kümmert uns das in der Palliativmedizin? Welche Auswirkungen werden die Entwicklungen der modernen Onkologie auf unser Tun in der Palliativversorgung haben?

Die beschriebenen Entwicklungen verändern die derzeitigen onkologischen Therapiealgorithmen deutlich; neben vielen anderen Auswirkungen ist zu erwarten, dass Tumortherapien statistisch und individuell begründbar auch im späten Krankheitsverlauf eingesetzt werden und dort womöglich zu einer relativen Krankheitsstabilisierung führen werden.

Zum einen wird sich die Palliativmedizin positionieren müssen, ob bzw. wie sie auch Patienten, die unter längerfristiger Tumortherapie stehen, mitbetreuen wird. Eine Palliativmedizin, die fortbestehende Tumortherapien als Gegenargument gegen eine Einbindung in palliativmedizinische Versorgungsstrukturen anführt, könnte dadurch auf die begleitende Versorgung in der Finalphase reduziert werden.

Zum Zweiten könnte diese Entwicklung eine Chance bieten, im Rahmen eines umfassenden, interdisziplinären, auf die Lebensqualität des Patienten ausgerichteten palliativen Versorgungskonzeptes tumorwirksame Medikamente zum Beispiel für genuin palliativmedizinische Ziele der Symptomkontrolle auszunutzen. Hier gibt es erste Daten, dass gerade die neuen "zielgerichteten" Therapien einen ausgeprägteren subjektiven klinischen Nutzen bieten als das tumormetrische Ansprechen erwarten lässt.

Zum Dritten ist ein negativer Trend zu beobachten, bei dem nicht nur die Tumortherapie bis in den sehr späten Krankheitsverlauf ausgedehnt wird, sondern auch die Häufigkeit von notfallmäßigen Hospitalisierungen am Lebensende im Sinne eines allgemein aggressiveren Therapieansatzes [2]. Hier stehen Aufgaben für die Palliativmedizin an, dieser Entwicklung reflektiert und abwägend Alternativen aufzuzeigen.

Inwieweit beeinflusst die Entwicklung neuer zielgerichteter Krebsmedikamente - sogenannte targeted therapies - die palliativmedizinische Versorgung? (Bild: MEV spezial, Symbolbild)

Schon jetzt hat sich im Rahmen der Hospiz- und Palliativerhebung HOPE 2007 gezeigt, dass in allen stationären und ambulanten Einrichtungsformen, die Palliativpatienten betreuen (mit Ausnahme der stationären Hospize), Patienten unter fortlaufender Tumortherapie betreut werden. Es wird sich für unsere Patienten und für die Palliativmedizin auszahlen, den Blick für die Entwicklungen der modernen Onkologie zu schärfen und hier unsere Kompetenzen zu erweitern.

Dr. Bernd Alt-Epping

Abteilung Palliativmedizin

Universitätsklinik Göttingen

Email: bernd.alt-epping@med.uni-goettingen.de

Literatur

  • 01 Sobrero A . Andretta V . Small molecule inhibitors of tyrosine kinase: waiting for the good news in colorectal cancer.  Onkologie. 2008;  31 224-225
  • 02 Earle CC . Landrum MB . et al . Aggressiveness of cancer near the end of life: is it a quality-of-care issue?.  J Clin Oncol. 2008;  26 3860-3866
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