RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-0028-1117357
Tilidin – die neue Modedroge?
Seit 5 Jahren ist in Problemkiezen der Berliner Bezirke Neukölln, Kreuzberg und Wedding ein zunehmender Missbrauch von Tilidin-Tropfen zu verzeichnen. Vornehmlich unter jungen männlichen Erwachsenen mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund wird die Substanz illegal erworben und in hohen Dosen konsumiert. Viele Konsumenten entwickeln eine manifeste Opiat- (genauer Opioid-)abhängigkeit. Die orale Applikation eines regulären Schmerzmittels lassen die Konsumenten über längere Zeit zunächst sozial unauffällig erscheinen. Auch das Selbstbild entspricht nicht dem der uns bekannten Abhängigen illegaler Substanzen.
In den Medien (u.a. Spiegel, Stern-tv) wird das Phänomen und das Mittel verzerrt als Gewaltdroge dargestellt. Assoziationen zu clockwork orange werden geweckt.
Die Entwicklung und die besonderen Merkmale der scene, die ein alt bekanntes, neu entdecktes Opioid als Droge benutzt, wird erörtert. Konventionelle und weitere, auf das besondere Milieu ausgerichtete Beratungs- und Behandlungsmethoden werden aufgezeigt und diskutiert.
Der Missbrauch von Arzneimitteln ist ein bekanntes Phänomen, jedoch werden im Allgemeinen nur die Substanzen verdächtigt, die nachgewiesenermaßen eine Tendenz zur Dosissteigerung besitzen und/oder Absetzphänomene im Sinne eines körperlichen Entzugssyndroms aufweisen. Die wohl bekanntesten Beispiele sind Benzodiazepine und Opiate. Es werden Arzneimittel vorgestellt, von denen dass Missbrauchspotential im Rahmen der Suchtkrankenhilfe bekannt ist, die aber im normalen medizinischen Alltag unauffällig sein können – wie z.B. das Antihistaminikum Dimenhydrinat (in VOMEX A®), im bestimmungsgemäßen Gebrauch ein Antiemetikum und Antivertiginosum, in der missbräuchlichen Anwendung die Kombination aus Halluzinogen und Analeptikum.