manuelletherapie 2009; 13(3): 89-90
DOI: 10.1055/s-0028-1109585
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Was ist eigentlich gute wissenschaftliche Praxis?

C. Beyerlein, A. Stieger
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Publication Date:
15 July 2009 (online)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

bevor wir zum Punkt kommen, erlauben Sie uns einen kurzen Rückblick. Der 5. physiokongress 2009 in Fellbach ist gerade zu Ende gegangen, und vielleicht waren Sie ja selbst mit dabei. Neben vielen Fachvorträgen wurde deutlich, dass die neue Selbstständigkeit von Physiotherapeuten ein zentrales Thema war. Wann kommt die neue Selbstständigkeit und durch welche Komponenten ist sie geprägt? Mit einer Jahreszahl lässt sich das nur schwer beantworten, denn es ist vielmehr ein Prozess. Geprägt ist diese Selbstständigkeit im Wesentlichen durch folgende 3 Eckpfeiler, die alle mehrfach auf dem Kongress zur Sprache kamen: die Professionalisierung, der Direktzugang und die Akademisierung in der Physiotherapie.

Den Überbau stellt die Professionalisierung unseres Berufes dar. Diese verleiht unserem Berufsstand mehr Autonomie und Verantwortung. Sie bedarf der Eigenreflexion und der Einhaltung ethischer Grundsätze. Der Unterbau besteht aus dem Direktzugang und der Akademisierung. Hier waren sich die Vortragenden ebenso wie die meisten Zuhörer einig: der Direktzugang für Patienten zum Physiotherapeuten wird kommen, muss kommen und ist nicht mehr aufzuhalten ([Abb. 1]; [8]). Die Akademisierung ist ein weiterer, wesentlicher Eckpfeiler auf dem Weg zur Professionalisierung und muss losgelöst von den Bemühungen zum Direktzugang ablaufen.

Abb. 1 Anzeige des neuseeländischen Physiotherapieverbandes.

Neben der Vermittlung eines guten „Handwerkzeugs” haben die Universitäten, Fachhochschulen und derzeit Berufsfachschulen die Verantwortung und Pflicht, weiterführende Kompetenzen zu vermitteln, die den Weg der Professionalisierung unterstützen. Hierzu zählen Fächer wie evidenzbasierte Praxis und Statistik, aber auch Kompetenzen zur Differenzialdiagnose und zu Screening-Verfahren sowie im Besonderen Wissenschaftliches Arbeiten. Die Schüler/Studierenden müssen von ihrer Institution bereits in der Grundausbildung die Möglichkeit bekommen zu forschen, eigenes Wissen aufzubauen und als wissenschaftlicher Nachwuchs verantwortungsvoll zu handeln.

Was heißt eigentlich wissenschaftliches Arbeiten? Wie geht das? Was ist erlaubt und was möglicherweise nicht? Welche ethischen Grundsätze sind zu beachten? Summa summarum: Was ist gute wissenschaftliche Praxis?

Gute wissenschaftliche Praxis fängt schon damit an, dass der Verfasser eines wissenschaftlichen Textes (z. B. Hausarbeit, Examensarbeit, wissenschaftliche Studie) die Quelle, also den Erstverfasser nennt und anerkennt. Ist das nicht der Fall, begeht er Diebstahl gedanklichen Eigentums, im Fachjargon auch als Plagiat bezeichnet. Folgende Definition findet sich im Internet bei Wikipedia:

„Plagiat (vom lat. Wort plagium, „Menschenraub” abgeleitet) ist die Vorlage fremden geistigen Eigentums bzw. eines fremden Werkes als eigenes oder Teil eines eigenen Werkes. Dieses kann sowohl eine exakte Kopie, eine Bearbeitung (Umstellung von Wörtern oder Sätzen), eine Nacherzählung (Strukturübernahme) oder eine Übersetzung sein. Entscheidend, ob es sich um ein Plagiat handelt oder nicht, ist in der Wissenschaft immer die Vorgabe der eigenen geistigen Urheberschaft, d. h. wenn z. B. Zitate oder verwendete Literatur nicht als fremdes geistiges Eigentum kenntlich gemacht wurden” [3].

Sebastian Sattler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld ist der Auffassung, dass Plagiate eher noch ein unterschätztes Problem sind [7]. Viele Studenten glauben, das Kopieren und Einfügen von Sätzen oder ganzen Textpassagen (Copy and paste) sei ein Kavaliersdelikt. Sie sind sich deshalb nicht bewusst, dass sie eine Urheberrechtsverletzung begehen, die möglicherweise strafrechtliche Folgen und weitere Konsequenzen seitens der Hochschule haben kann. Damit die Angelegenheit nicht ganz so auffällt, gehen Studenten zu einem anderen Verfahren, dem Copy, shake and paste über. Das bedeutet, vor dem Einfügen des „geklauten” Textes wird dieser erst einmal durcheinandergewirbelt. Auch das ist nicht rechtens, wenn der Erstautor nicht genannt wird.

Unredliches Verhalten kommt in der Wissenschaft genauso oft vor wie in anderen Lebensbereichen. Doch wann handelt es sich um einen Verstoß? Dazu zählen nicht nur bewusste Fälschung und Betrug, sondern schon mangelnde Sorgfalt bei der Anwendung wissenschaftlicher Methoden oder der Dokumentation von Daten.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) veröffentlichte in ihrer Denkschrift Zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis 16 an die Verantwortung der Hochschulen, anderer Forschungseinrichtungen und der eigenen Person adressierte Empfehlungen [1]. Die wirksamste Verhinderung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist nämlich das Bewusstmachen und somit Wahrnehmen der eigenen Verantwortung.

An 1. Stelle steht das ethische Grundprinzip Ehrlichkeit (Empfehlung 1; [1]): Unehrlichkeit ist „für die Wissenschaft selbst eine große Gefahr. Sie kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft ebenso untergraben wie das Vertrauen der Wissenschaftler untereinander zerstören, ohne das erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist” [1].

Zur Einhaltung der Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens ist jede Hochschule verpflichtet (§ 2 HRG; [2]). Sie sollte eigene Regeln guter wissenschaftlicher Praxis formulieren und diese als festen Bestandteil der Lehre an ihren wissenschaftlichen Nachwuchs weitergeben (Empfehlung 2, [1]).

Was ist zu tun, wenn man wissenschaftliches Fehlverhalten entdeckt? Der Senat der Max-Planck-Gesellschaft gibt den Hinweis, umgehend den geschäftsführenden Direktor des Instituts, Präsident der Hochschule bzw. Studiengangleiter schriftlich zu informieren [5]. Liegt nach deren Ermessen ein Fehlverhalten einer ihrer Studenten vor, wird dem Betreffenden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Name des Informanten darf ohne sein Einverständnis nicht offenbart werden. Je nach Schwere des Verstoßes muss der Betreffende mit arbeitsrechtlichen, akademischen (Exmatrikulation), zivilrechtlichen oder sogar strafrechtlichen (Urkundenfälschung, Urheberrechtsverletzung) Konsequenzen rechnen.

Die Idee, in diesem Editorial Leser, Studierende und Angehörige von Hochschulen für das Tabuthema Plagiat zu sensibilisieren, lieferte uns ein Bachelor-Student aus Süddeutschland. Anfang des Jahres 2009 hatte dieser ohne Bedenken einen Fragebogen und ein Anschreiben kopiert, das die Erstverfasser bereits für ihre wissenschaftliche Studie benutzten. Die Hochschule wurde über diesen Vorgang informiert und daraufhin dem Studenten untersagt, den Fragebogen für seine Bachelor-Arbeit zu verwenden. Dies hätte nicht sein müssen, wenn sich der Beteiligte seines Fehlverhaltens bewusst gewesen wäre.

Ob sich der Diebstahl gedanklichen Eigentums ganz vermeiden lässt, ist fraglich –, wahrscheinlich aber genauso wenig wie es Sport ohne Doping nicht geben wird. Jeder Physiotherapeut kann jedoch seinen Teil dazu beitragen, sich für eine „saubere Wissenschaft” einzusetzen, denn dies ist auf dem Weg der Professionalisierung unseres Berufsstandes gute wissenschaftliche Praxis.

In diesem Sinn grüßen wir Sie herzlich

Claus Beyerlein
Antonia Stieger

Literatur

  • 1 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) .Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Empfehlung der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft”. Weinheim; Wiley-VCH 1998
  • 2 Hochschulrahmengesetz (HRG).  http://www.gesetze-im-internet.de/hrg/BJNR001850976.html
  • 3 http://de.wikipedia.org/wiki/Plagiat
  • 4 http://plagiat.htw-berlin.de/ff/startseite/fremde_federn_finden
  • 5 Max-Planck-Gesellschaft .Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten. 2000 www.mpibpc.mpg.de/groups/jahn/PDF/gutwiss.pdf
  • 6 Sattler S. Plagiate in Hausarbeiten. Erklärungsmodelle mit Hilfe der Rational Choice Theorie. Hamburg; Verlag Dr. Kovac 2007
  • 7 Sattler S. Unterschätztes Phänomen: Über den Umfang von und den Umgang mit Plagiaten.  Forschung und Lehre. 2008;  5 298-299
  • 8 www.physiotherapy.org.nz

Claus Beyerlein,

PT/MT, ManipTh (Curtin University Perth/Australien) Diplom-Sportwissenschaftler

Email: info@physiotherapie-beyerlein.de

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