intensiv 2009; 17(2): 90-91
DOI: 10.1055/s-0028-1109274
Recht

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Rechtsfragen um die Einwilligungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen – Wer entscheidet bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen?

Werner Schell
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Publikationsdatum:
16. März 2009 (online)

Immer wieder wird danach gefragt, wer bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Versorgung von Kindern und Jugendlichen letztlich zu entscheiden hat. Steht allein den sorgeberechtigten Eltern Rechtsmacht zu oder können Kinder und Jugendliche sogar selbst entscheiden? Dazu sollen die nachfolgenden Ausführungen Antworten geben.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat sich vor längerer Zeit der Behandlung bösartiger Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zugewandt und damit zusammenhängende ethische und rechtliche Probleme aufgegriffen (Deutsches Ärzteblatt vom 18.11.1994, Heft 46 / 1994). Zu den juristischen Aspekten der Behandlung junger Patienten hat der Wissenschaftliche Beirat dabei interessante Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen, die auch heute noch zutreffend sind, beantworten die aufgeworfenen Fragen ausführlich.

Eine ärztliche Behandlung bedarf stets der Einwilligung des aufgeklärten Patienten. Dabei spielt keine Rolle, ob eine Entscheidung des Patienten gegen die Behandlung aus ärztlicher Sicht als unvernünftig anzusehen ist; das Selbstbestimmungsrecht gibt ihm auch das Recht zu – aus ärztlicher Sicht – unvernünftigen Entscheidungen. Lehnt ein Patient die vom Arzt vorgeschlagene Therapie ab und besteht stattdessen auf einer nicht konventionellen Behandlung seines Krebsleidens, dann kann der Arzt seine Dienste verweigern.

Bei Kindern und Jugendlichen ist zur Aufnahme und Fortführung einer Behandlung grundsätzlich die nach Aufklärung erteilte Einwilligung der Sorgeberechtigten – das sind i. d. R. beide Eltern – erforderlich. Für die Frage der Einwilligungsfähigkeit des Kindes und Jugendlichen ist allerdings nicht die Volljährigkeitsgrenze entscheidend, sondern allein die sog. natürliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit, die vom Arzt von Fall zu Fall zu beurteilen ist. Sie ist in der Regel mit etwa 16 Jahren gegeben. Jugendliche sind daher selbst zur Erteilung der Einwilligung berechtigt, wenn sie in der Lage sind, Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Behandlung bzw. die Folgen eines Unterlassens der Behandlung zu verstehen. Dem Recht der Eltern, die Sorge für ihr Kind dahingehend auszuüben, dass sie einer Behandlung zustimmen oder sie ablehnen, sind also durch die Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten Grenzen gesetzt.

Der Arzt kann damit bei Beginn oder Fortführung v. a. einer belastenden Behandlung – wie einer Operation oder der Chemotherapie bei onkologischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen – mit verschiedenen problematischen Situationen konfrontiert werden:

Der minderjährige, aber einsichtsfähige Patient willigt in die Behandlung ein, die Eltern aber nicht. Die Eltern sind mit der Behandlung einverstanden, der minderjährige, aber einsichtsfähige Patient hingegen nicht. Weder die Eltern noch der minderjährige, aber einsichtsfähige Patient willigen in die Behandlung ein. Die Eltern eines nicht einsichtsfähigen Kindes verweigern die Behandlung.

Ist der Jugendliche urteilsfähig und stimmt er der Behandlung zu, so ist die Therapie auch bei Ablehnung durch die Eltern durchzuführen, wobei das Bemühen weiter darauf gerichtet sein muss, die Eltern ebenfalls zu überzeugen. Diese Situation kann theoretisch auch einmal bei Unter-14-Jährigen vorkommen. Hier wird zwar, so heißt es üblicherweise, der Arzt ausnahmslos auch die elterliche Zustimmung einzuholen haben. Als Faustregel wird genannt, dass der Arzt sich umso weniger mit der Einwilligung des minderjährigen Patienten allein begnügen kann, je schwerwiegender, je weniger dringlich, je unübersehbarer in seinen Risiken und Folgen ein ärztlicher Eingriff ist. Für die Behandlung bösartiger Erkrankungen bedeutet das aber umgekehrt, dass unter Umständen allein auf die Einwilligung des 14-jährigen oder im Ausnahmefall sogar noch etwas jüngeren Patienten abgestellt werden muss, wenn dieser aufgeklärt ist und die Folgen seiner Entscheidung schon übersehen kann, weil es sich bei der vorgeschlagenen Therapie um die nach ärztlicher Erkenntnis einzige Chance der Lebensrettung handelt.

Willigen nur die Eltern in die Behandlung ein, nicht aber der einsichtsfähige Jugendliche, so darf die Behandlung nicht durchgeführt werden, wenn es trotz aller an der Behandlung Beteiligten nicht gelingt, den Jugendlichen von der Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten der Therapie zu überzeugen.

Lehnen sowohl die Eltern als auch der einsichtsfähige Jugendliche die Behandlung nach eingehender Aufklärung über Aussichten und Risiken der Behandlung wie auch über die Konsequenzen der Nichtbehandlung ab, so hat der Arzt diese Entscheidung zu respektieren. Die Behandlung darf dann nicht durchgeführt werden.

Verweigern die Eltern für ihr nicht einsichtsfähiges Kind die Zustimmung zu der als allein lebensrettend anzusehenden Behandlung, so stellt sich für den Arzt die Frage, ob er diese Entscheidung akzeptiert oder ob er den Ersatz der elterlichen Zustimmung durch das Vormundschaftsgericht anstreben muss.

In einer solchen Situation ist zu berücksichtigen, dass die Eltern sich in einer sehr schwierigen, konfliktträchtigen Lage befinden. Dabei spielt zum einen eine Rolle, dass sie die körperlichen und seelischen Belastungen ihres Kindes durch die Therapie sehen und miterleben, und zum anderen, dass sie den Nutzen der Behandlung für das Überleben und Gesunden des Kindes zu gering bewerten oder nicht erkennen. Die Eltern sind unter Umständen verschiedenen Einflüssen, auch von ärztlicher Seite, ausgesetzt; sie wissen nicht, wem sie vertrauen sollen und welche Entscheidung die für ihr Kind beste und daher die richtige ist. Die Überlegung oder der Entschluss, eine andere als die von einem medizinischen Zentrum für richtig gehaltene Therapie durchzuführen, könnte oft nicht umgesetzt werden, wenn sich nicht auch Ärzte fänden, die zu einer anderen, u. U. auch nicht konventionellen Behandlung raten und diese auch durchführen. Die Ängste und Besorgnisse der Eltern sind deshalb von allen an der Behandlung und Betreuung der Kinder Beteiligten ernst zu nehmen.

Dies gilt umso mehr, als die Mitwirkung der Eltern für die Behandlung eines Kindes von wesentlicher Bedeutung ist. Der Arzt wird daher gerade bei belastenden Behandlungen – etwa der Chemotherapie und ausgedehnten Operationen bei onkologischen Erkrankungen – die Zustimmung der Eltern durch Erläuterung der therapeutischen Möglichkeiten und der erreichbaren Behandlungsergebnisse einholen, ohne dabei die Risiken und Belastungen zu verschweigen. Aufgeklärt werden muss über die Chancen und Risiken der Behandlung im Vergleich zur Nichtbehandlung oder der Anwendung anderer Methoden. Ebenso ist darüber aufzuklären, was Randomisation bedeutet, wenn die Behandlung im Rahmen einer prospektiven, randomisierten Studie durchgeführt werden soll, und weswegen ein solches Vorgehen auch dem einzelnen Kind gegenüber nicht nur vertretbar, sondern sogar geboten ist. Bei der Verweigerung der Teilnahme an der Studie ist eine therapeutische Alternative anzubieten. Im Falle einer generellen Behandlungsverweigerung sind den Eltern die zu erwartenden gesundheitlichen Folgen dringlich vor Augen zu führen.

Ergebnis der Gespräche mit den Eltern kann allerdings im Einzelfall auch sein, dass der Arzt die Argumentation der Eltern, welche die Behandlung ablehnen, teilt oder akzeptiert – etwa weil ein offensichtliches Missverhältnis zwischen der Belastung des Kindes durch die Behandlung und dem durch sie erzielbaren Erfolg vorliegt, z. B. dem Rezidiv einer onkologischen Erkrankung. Gelegentlich wird auch der Arzt von vornherein entgegen dem Wunsch der Eltern deshalb von einer Behandlung absehen.

Verweigern die Eltern nach Beratung die Behandlung aus Gründen, die nach Abwägung von Chancen und Risiken der Therapie als unvernünftig anzusehen sind, so müssen sie auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass ihre Einwilligung durch den Vormundschaftsrichter u. U. ersetzt werden kann. Ein solcher Schritt wäre letztendlich auch ernsthaft anzukündigen. Im Ausnahmefall kann es als Ultima Ratio schließlich dazu kommen, dass der Arzt, wenn er das Unterlassen der Therapie nicht verantworten zu können glaubt, sich tatsächlich darum bemühen muss, die elterliche Einwilligung gerichtlich ersetzen zu lassen. Das gilt auch im Falle eines Dissenses zwischen den Eltern. Das Gericht wird dann entweder einen Pfleger bestellen, der über die Einwilligung in die Behandlung entscheidet, oder es wird die elterliche Einwilligung selbst ersetzen. Beides ist nach § 1666 BGB möglich, wenn die Verweigerung der Behandlung missbräuchliche Ausübung des Sorgerechts ist, durch die das Wohl des Kindes gefährdet wird. Dabei ist von einer Gefährdung des Kindeswohls dann auszugehen, wenn im konkreten Fall nach ärztlicher Erkenntnis eine Erfolg versprechende und bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte auch zumutbar erscheinende Behandlungsmöglichkeit nicht wahrgenommen, sondern verweigert wird.

Wenngleich rechtlich die Möglichkeit besteht, das Vormundschaftsgericht anzurufen, um die elterliche Einwilligung gerichtlich zu ersetzen, sollte dieser Weg jedoch so weit wie möglich vermieden werden, da eine lang dauernde und eingreifende Behandlung eines Kindes ohne Unterstützung durch seine Eltern für alle Beteiligten eine schwere Belastung darstellt.

Die hier beschriebenen Rechtsgrundsätze gelten entsprechend für die Erstellung einer Patientenverfügung.

Werner Schell

Dozent für Pflegerecht

Harffer Str. 59

41469 Neuss

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