ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2008; 117(10): 469
DOI: 10.1055/s-0028-1103369
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Turbulente Zeiten

Cornelia Gins
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Publication Date:
06 November 2008 (online)

Da ist was los! Haben Sie noch Lust, die Zeitung zu lesen oder das Fernsehen anzumachen? Natürlich macht man es, in der Hoffnung zwischen den schlechten Nachrichten irgendetwas Beruhigendes zu finden. Selbst dem größten Ignorant am täglichen Auf und Ab werden die derzeitigen Ereignisse nicht kalt lassen. Der aufgeschreckte Bürger verfolgt mit Entsetzen die Kommentare und Berichte über die möglichen Szenarien für die Zukunft. Die Schuldigen sind schnell gefunden – es sind selbstverständlich die anderen. Das ist immer die einfachste Erklärung. Die Gier der Banker (und natürlich das System) ist Schuld daran, dass die Weltwirtschaft im Ausverkauf steht. Aber war es wirklich nur das? Wie beim Entstehen von Krankheiten liegt auch hier sicher ein multifaktorielles Geschehen vor. Hat nicht jeder kleine Häuslebauer in Amerika, der jetzt vor dem finanziellen Kollaps steht, dazu beigetragen? Er hat, denn er hat über seinen Verhältnissen gelebt. Aber tun wir das nicht alle? Selbstverständlich macht es die Geldpolitik jedem Einzelnen einfach. Überall wird die Ware, ob Auto, Geräte für den Haushalt oder was das Herz sonst noch begehrt, auf Kredit gewissermaßen aufgedrängt. Die Anbieter überschlagen sich mit ihren Lockangeboten, Wünsche zum Nulltarif zu erfüllen. Wer zahlt denn heute noch „bar”? Wie viele Patienten gibt es bei Ihnen, die das Geld in der Tasche mitbringen? Wenn, dann sind es die Älteren. Sie haben den Wert des wahren Geldes noch schätzen gelernt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie sich nur neue Zähne „leisten”, wenn sie sie auch bezahlen können. Angebote für eine 2– oder 3–malige Ratenzahlung werden brüsk abgelehnt. Heutzutage ist es Usus geworden, alles mit der Karte zu bezahlen. Selbst geringe Beträge werden im Supermarkt mit „Plastik” bezahlt. Ist ja so schön einfach. Kredite werden aufgenommen, da die monatlichen Raten so überschaubar aussehen. Alles easy, ohne Prüfung. Man will sich auch mal etwas leisten, machen die anderen doch auch so. Das Verhältnis zum Geld ist anonym geworden. Der Bezug zu seinem realen Wert ist verloren gegangen. Es lebt doch jeder auf Pump – die Stadt, das Land, die Welt.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen unterhalten wir mit unserem Konsum die Wirtschaft, es werden Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen. Der Wirtschaft ist es egal, wie sie in Schwung gehalten wird – bar, auf Karte oder Pump. Dass es wohl doch nicht so egal ist, merken wir jetzt ganz deutlich. Die Verführbarkeit des Menschen ist sein Wohl und Weh zugleich. Der bekannteste Präzedenzfall dafür: Das Paradies – Eva hat den Apfel genommen. Wer weiß, was sonst aus uns geworden wäre.

Cornelia Gins

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