Die orale Antigenaufnahme kann unterschiedliche Auswirkungen auf das systemische Immunsystem
haben, deren Extreme die Induktion protektiver adaptiver und tolerogener Immunantworten
darstellen. Insbesondere beim Menschen sind die zugrunde liegenden Mechanismen nur
unvollständig verstanden. Wir untersuchten, welche funktionellen Auswirkungen die
orale Aufnahme eines definierten Antigens auf die T-zelluläre und humorale Immunantwort
beim Menschen hat und ob diese abhängig von Antigendosis und Applikationsdauer sind.
Das Neo-Antigen keyhole limpet hemocyanin (KLH) wurde entweder in kontinuierlicher
Niedrigdosis (ND, n=8) oder einmaliger Hochdosis (HD, n=7) oral verabreicht. Im Anschluss
wurde durch parenterale Immunisierung eine systemische Immunantwort induziert. Die
Kontrollgruppe (K, n=6) wurde nur parenteral immunisiert. PBMC wurden in vitro mit
KLH restimuliert und antigen-spezifische CD154+ TH-Zellen durchflusszytometrisch auf Zytokinsekretion und Expression von Homingmarkern
analysiert. KLH-spezifische Antikörper wurden im ELISA gemessen. Die alleinige orale
Antigenaufnahme in kontinuierlicher Niedrigdosis induzierte antigen-spezifische TH-Zellen mit der Expression des Darm-Homingmarkers Integrin-β7 und einem TH2-Zytokinmuster. Außerdem wurde eine nachfolgend parenteral induzierte systemische
TH-Zellantwort beschleunigt. Interessanterweise veränderte die orale KLH Einnahme (ND-Gruppe)
die nachfolgend durch parenterale Immunisierung induzierte T-Zellantwort in Richtung
eines TH2 Zytokinmusters mit erhöhter Frequenz von IL-4- und erniedrigter Frequenz von IFN-γ-positiven
Zellen. KLH-spezifische TH-Zellen mit einer Expression des Haut-Homingmarkers CLA wurden reduziert. Parallel
zur T-Zellantwort wurde die KLH-spezifische B-Zellantwort beschleunigt und verstärkt.
Diese Effekte waren in der HD-Gruppe deutlich geringer ausgeprägt.
Die orale Antigenaufnahme kann, abhängig von Antigendosis und Applikationsdauer, nachfolgend
systemisch induzierte T- und B-Zellantworten modulieren. Insbesondere der TH2-Shift im Zytokinmuster und die verstärkte B-Zellantwort eröffnen möglicherweise
neue Ansätze in der Therapie TH1-vermittelter entzündlicher Erkrankungen sowie bei der Optimierung oraler Vakzinierungsprotokolle.