Einleitung: Das Spektrum der durch das Varizella-Zoster-Virus (VZV) hervorgerufenen Erkrankungen
des zentralen Nervensystems (ZNS) ist breit und reicht von der isolierten Fazialisparese
bis zur Meningoenzephalitis. Ein wichtiger Bestandteil der Diagnose ist die vergleichende
Bestimmung spezifisch gegen VZV gerichteter Antikörper in Liquor und Serum. Eine intrathekale
Synthese (erhöhter VZV-spezifischer Antikörperindex, VZV-AI) spricht für eine aktuelle
oder stattgehabte ZNS-Infektion mit VZV, jedoch finden sich erhöhte VZV-AI auch im
Rahmen einer polyspezifischen Immunstimulation bei chronisch-entzündlichen ZNS-Prozessen.
Eine Abgrenzung dieser unterschiedlichen Erkrankungen kann in untypischen Fällen sehr
schwierig sein.
Methoden und Ergebnisse: Nach Erfassung aller zwischen 2002 und 2006 im Neurochemischen Labor bestimmten pathologischen
VZV-AI-Werte, wurden die Diagnosen all der in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG)
behandelten Patienten (n=297) retrospektiv analysiert. In 23,6% der Fälle ließ sich
ein erhöhter VZV-AI auf eine VZV-bedingte Erkrankung des ZNS zurückführen, in 8,1%
auf eine Infektion mit anderen humanen Herpesviren. 28,3% der Patienten litten entsprechend
der modifizierten McDonald-Kriterien an einer Multiple Sklerose (MS), bei 18,2% bestand
der Verdacht auf eine MS und bei weiteren 13% wurden andere sichere oder unklare chronisch-entzündliche
ZNS-Prozesse diagnostiziert. Des Weiteren wurden anhand der Daten des Neurochemischen
Labors sowie des zentralen Diagnose-Dokumentationssystems alle Patienten ermittelt,
die von 2002–2004 aufgrund einer neu aufgetretenen peripheren Fazialisparese in der
UMG behandelt wurden (n=387). In 26,6% lag der peripheren Fazialisparese eine infektiöse
Ursache zugrunde. Ursächlicher Erreger der peripheren Fazialisparese war im Erwachsenenalter
in je 1/3 der Fälle VZV und Borrelien, bei Kindern hingegen war VZV selten, hier dominierten
Borrelieninfektionen mit 80%.
Schlussfolgerung: Ein erhöhter VZV-AI beruhte in ca. 2/3 der Fälle unseres Kollektivs auf einem zerebralen
Autoimmunprozess, in nur ¼ der Fälle lag eine ZNS-Infektion mit VZV zugrunde. Ebenfalls
wurde nur ca. ¼ aller infektiös bedingten Fazialisparesen durch VZV verursacht. Durch
eine systematische Datenerhebung und Zuordnung liefert diese retrospektive Analyse
einen Überblick über die Ursachen einer intrathekalen Antikörpersynthese gegen VZV
und soll als Hilfsmittel in der differentialdiagnostischen Einordnung unklarer ZNS-Erkrankungen
dienen.