Gesundheitswesen 2008; 70 - A121
DOI: 10.1055/s-0028-1086346

Zielgruppenspezifische Edukation – Ein Thema für die pädiatrische Onkologie?!

K Tiesmeyer 1
  • 1Versorgungsforschung und Pflegewissenschaft, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld

Einleitung/Hintergrund: Edukation kommt in der Gesundheitsversorgung eine zunehmend wichtige Bedeutung zu, um z.B. über Information und Begleitung Krankheitsbewältigung sowie partizipative Entscheidungsfindungen zu ermöglichen. In der pädiatrischen Onkologie lassen sich international mittlerweile eine Vielzahl von edukativen Interventionen identifizieren, um diese Ziele zu begünstigen. Soziale Einflussfaktoren finden in der Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld allerdings bisher kaum Berücksichtigung, obwohl deren Beachtung in verschiedenen Reviews angemahnt werden [1–2]. Material und Methoden: Im Rahmen einer qualitativen Studie wurden insgesamt 23 Interviews mit Familien geführt, in denen ein Kind von einer onkologischen Erkrankung betroffen ist. Die Interviews fanden zu verschiedenen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf statt und einzelne Familien wurden über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren begleitet. Bei der Untersuchung wurde methodisch auf die Grounded Theory rekurriert. Ergebnisse: Die Datenauswertung zeigt ein prozesshaftes Geschehen, dass bezogen auf und verwoben mit dem Krankheitsverlauf für das familiäre Leben kennzeichnend ist. Die Wirkung sozialer Einflüsse zeigt sich z.T. sehr früh in der Interaktion mit dem Gesundheitsversorgungssystem. Noch in der Phase vor der Diagnosestellung gemachte Erfahrungen sind über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg prägend. Eltern mit einem geringen Bildungshintergrund und niedrigem sozialen Status erleben das Gesundheitsversorgungssystem als „bewertende Instanz“. Unterstützende Angebote können vor diesem Hintergrund z.T. nicht ihre Wirkung entfalten, weil sie der Erfahrungswelt der Betroffenen entgegenstehen. Diskussion/Schlussfolgerungen: Edukative Unterstützung muss den Prozessverlauf und die dabei wirksamen sozialen Einflüsse berücksichtigen. Eine angebotsorientierte Intervention, wie z.B. die Möglichkeit zur Teilnahme an Eltern- oder Selbsthilfegruppen reicht nicht aus, um dem Edukationsbedarf – insbesondere sozial benachteiligter Familien – hinreichend zu begegnen. Der sozial geprägten Eigenlogik von Verlaufsdynamiken muss Rechnung getragen werden, weil Unterstützungsangebote sonst an der Lebenswirklichkeit der Familien vorbei gehen und von diesen nicht als hilfreich erlebt werden können.

Literatur:

[1] Bradlyn AS, Beale IL, Kato PM. Psychoeducational intervention with pediatric cancer patients. Part I: Patient information and knowledge. Journal of child and family studies 2003; 12 (4): 385–397

[2] Tiesmeyer K. Der Einfluss sozialer Faktoren auf den Edukationsbedarf onkologisch kranker Kinder und ihrer Familien. In: Tiesmeyer K, Brause M, Lierse M, Lukas-Nülle M, Hehlmann T (Hrsg). Der blinde Fleck – Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung. Bern: Huber, 2007: 181–198