Gesundheitswesen 2008; 70 - A88
DOI: 10.1055/s-0028-1086313

Versorgungsbarrieren für untere Einkommensgruppen: Ergebnisse einer Befragung von älteren Personen in 11 westeuropäischen Staaten

A Mielck 1, O von dem Knesebeck 2
  • 1Helmholtz Zentrum München – Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Neuherberg
  • 2Institut für Medizin-Soziologie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf

Einleitung: Im Mittelpunkt steht hier das Thema „forgone care“. Damit wird das Problem umschrieben, dass trotz eines subjektiv wahrgenommenen Bedarfs keine gesundheitliche Versorgung in Anspruch genommen wird. Wir untersuchen die Hypothese, dass „forgone care“ in den unteren Einkommensgruppen besonders häufig vorhanden ist. Empirische Untersuchungen sind dazu bisher kaum vorhanden. Methode: Die Analysen basieren auf der Studie „Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE)“, d.h. auf einer Befragung in 11 Europäischen Staaten von Personen, die in Privathaushalten leben und zumindest 50 Jahre alt sind. Die abhängige Variable wird durch die Frage erfasst: In den letzten 12 Monaten, haben Sie irgendeine gesundheitliche Versorgung nicht erhalten, weil dies für Sie zu teuer gewesen wäre oder weil es diese Versorgung nicht gab? Als unabhängige Variablen werden einbezogen: Alter, Geschlecht, Brutto-Haushaltseinkommen (bedarfsgewichtet), selbsteingeschätzter Gesundheitszustand, Vorhandensein einer chronischen Erkrankung. Ergebnisse: Die Stichprobengröße erlaubt länderspezifische Analysen nur für Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien und Schweden. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass „forgone care“ in den unteren Einkommensgruppen zumeist besonders häufig vorhanden ist. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in den Analysen, die sich auf die chronisch kranken Personen beschränken. Besonders deutlich sind die einkommensbezogenen Unterschiede bei „forgone care“ in Deutschland (Stichprobe n=2.941): Verglichen mit dem obersten Einkommens-Quintil ist „forgone care“ im untersten Quintil 1,98-mal (95% CI: 1,08–3,63)häufiger. Diskussion: In der letzten Zeit wird oft betont, dass die gesundheitliche Ungleichheit nicht nur durch Faktoren wie Rauchen und Ernährung erklärt werden kann, dass Faktoren der Arbeits- und Wohnbedingungen von zentraler Wichtigkeit sind. Dabei werden Fragen der gesundheitlichen Versorgung jedoch weitgehend vernachlässig. Die Analysen zeigen, dass diese Vernachlässigung nicht gerechtfertigt ist, und dass auch Fragen von „forgone care“ wichtig sein können.

Literatur:

[1] Elliott BA, Larson JT. Adolescents in mid-sized and rural communities: foregone care, perceived barriers, and risk factors. J Adolesc Health 2004; 35(4): 303–309

[2] Ford CA, Bearman PS, Moody J. Foregone health care among adolescents. JAMA 1999; 282(23): 2227–2234

[3] Watt G. The inverse care law today. The Lancet 2002; 360: 252–254