Gesundheitswesen 2008; 70 - A86
DOI: 10.1055/s-0028-1086311

Krankenversicherung und besondere Risikogruppen. Über Diabetiker, Schlachthofabfall, Insulin, Ärzte und Krankenkassen in den Niederlanden

KP Companje 1
  • 1Vrije Universiteit medisch centrum, afd. Metamedica, Amsterdam

Hintergrund: Im Gegensatz zur Bismarckischen Krankenversicherung in Deutschland gab es in den Niederlanden vor der Krankenkassenverordnung vom 1. November 1941 keine gesetzliche Pflichtversicherung für Gesundheitsversorgung. Das Krankenkassensystem war privatrechtlich angelegt und basierte auf freiwilligem Beitritt und nominaler Prämienfinanzierung. Mehrleistungen und der Beitritt besonderer Risikogruppen wie Diabetiker waren in diesem System fast ausgeschlossen. Vor der Entdeckung des Insulin hatten Diabetikern deswegen nicht nur Probleme mit ihrer Gesundheit. Auch sozial und finanziell waren sie gewissermaßen outcasts, da sie wegen ihrer Krankheit kein normales Sozialleben hatten und für die Krankenkassen nicht in Anmerkung kamen für eine Versicherung. Methoden und Material: Archiv- und Literaturstudien. Archive von Krankenkassen und Spitzenverbänden, die Nederlandsche Maatschappij tot bevordering der Geneeskunst und die Abteilung Arbeiterversicherungen des Ministeriums für Arbeit und Sozialwirtschaft; Fachzeitschriften für Medizin und Krankenversicherung. Ergebnisse: In 1921 wurde erstmals in Kanada über die Wirkung des Insulin als Medizin für Diabetespatiënten publiziert. Der Wert für Zuckerkranke und die Gesellschaft war deutlich, aber die Erzeugung schwierig und in Kanada und in den USA vor 1925 ohne viel Erfolg. In den Niederlanden arbeitete der Pharmazeut prof.dr. Ernst Laqueur bereits 1923 gemeinsam mit Industriellen an der industrielmäßigen Erzeugung von gutem und stabilen Insulin. Bereits 1923 war es möglich preiswertes Insulin aus Schweineschlachtabfall zu produzieren für umfassende Belieferungen von Krankenhäusern und fachärztlichen Polikliniken. Ärtze, Gemeinden und Krankenkassenbehörde arbeiteten ab 1924 zusammen um Insulin als Leistung für die Krankenkassen zu ermöglichen. 1936 wurde Insulin als Sonderleistung vom Ministerium für Arbeit und Sozialwirtschaft auf nationaler Ebene finanziert. Schlussfolgerungen: In den Niederlanden ermöglichte die Zusammenarbeit von Krankenkassen, Ärzten und Industrie bei der Entwicklung, Produktion und Lieferung von Insulin Diabetikern die Mitgliedschaft einer Krankenkasse. Damit bekam diese besondere Risikengruppe einen Anspruch auf versicherte Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit eines mehr oder weniger normalen Lebens. Diese civil society-Initiative zwang die Regierung zu eine Sonderreglung, da es keine gesetzliche Krankenversicherung gab.