Gesundheitswesen 2008; 70 - A67
DOI: 10.1055/s-0028-1086292

Können wir Meta-Analysen vertrauen? Das Beispiel Venlafaxin versus SSRI bei der Depression

S Weinmann 1, M Kösters 2, T Becker 2
  • 1Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité Universitätsmedizin Berlin
  • 2Arbeitsgruppe Versorgungsforschung der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm

Hintergrund: Die Zahl der neuen Antidepressiva, die eine Überlegenheit, Gleichwertigkeit oder ein besseres Nebenwirkungsprofil gegenüber älteren Substanzen beanspruchen, nimmt zu. Gleichzeitig werden zunehmend methodische Beschränkungen der Studien, aber auch der Meta-Analysen zu Antidepressiva diskutiert. Ziel der vorliegenden Meta-Analyse war es, den Einfluss methodischer Faktoren auf die Effektstärken am Beispiel von Venlafaxin im Vergleich zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) zu untersuchen. Material und Methoden: Systematische Recherche randomisierter Studien. Daten zu Remissions-, und Response- und Drop-Out-Raten und zur mittleren Veränderung von Depressions-Scores wurden gepoolt, die Ergebnisse denen anderer Reviews verglichen. Ergebnisse: 17 veröffentlichte Studien wurden eingeschlossen. Es fand sich keine Überlegenheit von Venlafaxin in den Remissionsraten (RR=1,07, 95%-Konfidenzintervall [95% CI]=0,99 bis 1,15, NNT=34) und eine geringe statistisch signifikante Überlegenheit in den Response-Raten (RR=1,06, 95% CI=1,01 bis 1,12, NNT=27) im Vergleich zu SSRIs. Bezüglich der Veränderung der Depressionsscores HAMD und MADRS ergaben sich geringe signifikante Unterschiede (Effektstärke -0,09, 95% CI=-0,16 bis -0,02, p=0,013) zugunsten von Venlafaxin, die nicht mehr statistisch signifikant waren, wenn Post-Scores verwendet wurden (Effektstärke -0,06, 95% CI=-0,13 bis 0,00). Die Studienabbruchraten wegen unerwünschter Ereignisse waren um 45% höher bei Venlafaxin. Wichtige Gründe für die geringeren Effektstärken gegenüber anderen vom Hersteller finanzierten Reviews waren der Ausschluss von Studien mit geringer Qualität und nicht-publizierter Studien und der Verzicht auf eine selektive Verwendung von Ergebnisparametern. Diskutiert werden die Vor- und Nachteile eines Einschlusses von lediglich den Arzneimittelherstellern bekannten Studien in systematische Reviews. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse von Meta-Analysen können je nach Methodik deutlich variieren. Wann ein klinisch relevanter Vorteil vorliegt, muss im Einzelfall entschieden werden. Reviews mit nicht-publizierten Studien sollten alle Daten offenlegen, um eine transparente Überprüfung zu ermöglichen. Faktoren, die zu einer Überschätzung der Effektstärken in systematischen Reviews beitragen können, sind nicht nur Publikationsbias, sondern auch die Auswahl der Studien, die Ergebnisparameter und die verwendeten statistischen Verfahren. Dies sollte auch in Leitlinien berücksichtigt werden.