Gesundheitswesen 2008; 70 - A54
DOI: 10.1055/s-0028-1086279

Sterilisationsoperateure und Sterilisandinnen: Ein Arzt-Patientinnenverhältnis der besonderen Art im Nationalsozialismus

G Czarnowski 1
  • 1Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Medizinische Universität, Graz

Einleitung/Hintergrund: Der Vortrag behandelt ein Teilergebnis des Forschungsprojekts „Gynäkologie im Nationalsozialismus: Die Universitätsfrauenklinik Graz 1938 bis 1945“, das am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz unter der Leitung von Prof. Dr. Éva Rásky durchgeführt und vom österreichischen Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung gefördert wurde. Material und Methoden: Historisch-kritische Analyse zeitgenössischer fachwissenschaftlicher Aufsätze und Tagungsberichte unter Einbeziehung der Ergebnisse heutiger medizinhistorischer Forschung Ergebnisse: Das nationalsozialistische „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bestimmte, dass Sterilisationen auch ohne Einwilligung der Person durchzuführen waren. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchführung eines operativen Eingriffs bedeutete einen Bruch im traditionellen Arzt-Patientenverhältnis, der in den fachwissenschaftlichen Debatten durchaus thematisiert wurde, wenn auch Auseinandersetzungen über die „spermiensichersten“ Operationstechniken vorherrschten. Entschieden die „Erbgesundheitsrichter“über die rassenhygienische/eugenische „Indikation“ der Sterilisation, so hatten die Frauenkliniker das alleinige Recht, über die Durchführung oder die Ablehnung der Operation aus medizinischen Gründen zu entscheiden. Doch Ablehnungen gab es kaum. Die Operateure erfüllten ihre neue Aufgabe unter Ausspielen der sozialen Hierarchie und unter Anwendung von List, Betrug und Gewalt, wenn der „ärztlichen Autorität“ der Erfolg versagt blieb. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die deutschen Gynäkologen waren als Sterilisationsoperateure unmittelbar in die Durchsetzung der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik verwickelt. Wenngleich die Fachdiskussion durchaus divergente Positionen zeigt, so wird doch auch deutlich, dass alle im Amt gebliebenen deutschen Universitätsgynäkologen die „gesetzlichen“ Sterilisationen ohne weiteres durchführten und hinter den mit diesen verbundenen „idealen Zielen“ standen. Sie fühlten sich eher dem Staat und einer völkisch-eugenischen Ethik des „Allgemeinwohls“ verpflichtet als der ärztlichen Individualethik gegenüber der Person. Dies wurde ohne Zweifel von der internationalen Verbreitung der Eugenik gestützt.