Ultraschall Med 2008; 29 - V169
DOI: 10.1055/s-0028-1085903

Sonografieausbildung in Afghanistan – Anspruch und Wirklichkeit

J Reuß 1, Z Nazary 2, M Nawab Kamal 3
  • 1Klinikverbund Südwest, Klinikum Sindelfingen-Böblingen, Kliniken Böblingen, Medizinische Klinik IV, DE Böblingen
  • 2Afghanisch-Deutscher Ärzteverein, Freiburg
  • 3Kabul, Afghanistan

Der afghanisch-deutsche Ärzteverein Freiburg ADAV (doctor@adav.de) führt seit 2002 Ultraschallkurse in Afghanistan (Kabul, Mazar-i-Sharif) durch. Afghanistan ist vor allem durch die Kriege und die Taliban-Zeit medizinisch wenig entwickelt, finanzielle Mittel zur Entwicklung sind sehr knapp. Außer wenigen meist sehr alten Röntgengeräten gab es 2002 nahezu keine Möglichkeit einer bildgebenden Diagnostik. Bis auf ganz wenige Basiswerte sind kaum Laboruntersuchungen möglich.

Preisgünstige Ultraschallgeräte (<5 000,- €) waren bereits in geringem Umfang 2002 vorhanden. Durch Spenden und private Beschaffungen nimmt die Zahl der Geräte vor allem in den vorhandenen städtischen Kliniken, weniger in den ländlichen medizinischen Versorgungsstationen, rasch zu. Medizinisch nutzbringend ist dies aber nur mit einer begleitenden Ausbildung für die ärztlichen Anwender. Der Ausbildungsstand der bereits dort tätigen Untersucher ist ungleichmäßig, die Qualifikation oft nicht nachprüfbar. Einheimische Ausbilder sind fast nicht vorhanden.

Wir sind mit dem Anspruch angetreten, eine qualitativ hochwertige Ausbildung für Ärzte in einem dreiteiligen Kurssystem nach den Richtlinien der DEGUM in Afghanistan anzubieten. Damit sollen die dort tätigen einheimischen Ärzte in die Lage versetzt werden, ihre Diagnostik zusätzlich zu Anamnese und körperlicher Untersuchung in der Inneren Medizin, Chirurgie, Pädiatrie, Gynäkologie und Geburtshilfe wesentlich zu verbessern. Das Ausbildungsangebot sollte in gleichem Maß Männern und Frauen zugute kommen.

Die Kurse trafen immer auf größtes Interesse. Die Kurse mussten in langwierigen Verhandlungen mit dem für die Medizin zuständigen Ministry of Public Health und obendrein mit dem für die Ausbildung zuständigen Ministry of Higher Education genehmigt werden. Die Teilnehmerauswahl wurde von den Ministerien mitbestimmt, Kompromisse waren nötig. Die von uns bevorzugte Auswahl nach Qualifikation oder

Tatsächlicher Tätigkeit der Aspiranten war nicht immer gegeben. Neben Ärzten aus Kabul sollte auch Ärzten aus den Provinzen die Teilnahme ermöglicht werden. Ca. 30% der Kursteilnehmer waren Frauen, angestrebt waren 50%.

Die Kurssprache ist Englisch, da die westlichen Ausbilder keine der einheimischen Sprachen (Dari, Pashto, Turksprachen, Urdu) sprechen. Die Englischkenntnisse der Kursteilnehmer sind unterschiedlich, teilweise exzellent, bei den Kursteilnehmern aus der Provinz und bei weiblichen Ärzten teilweise mangelhaft. Für schwierige Passagen war daher ein medizinisch fachkundiger Übersetzer notwendig. Simultanübersetzung ist nicht möglich, ein ständiges abschnittweises Übersetzen für den Unterrichtsfortgang lähmend.

Die Vorkenntnisse der teilnehmenden Ärzte, insbesondere in der Anatomie, waren sehr unterschiedlich. Während der Talibanzeit gab es aus religiösen Gründen nahezu keine Anatomieausbildung an der medizinischen Fakultät in Kabul. Ärzte, die ihre Ausbildung in Pakistan erhalten hatten, brachten gute Anatomiekenntnisse mit. Frauen waren in der Regel bei der Ausbildung benachteiligt.

Das tribale System der Autoritäten hat auch in der medizinischen Ausbildung eher zum Auswendiglernen, denn zum echten Verstehen und Hinterfragen von Ausbildungsinhalten geführt, ein Hindernis, wenn in der US-Ausbildung der Dialog gesucht wird. Strukturiertes Lernen und strukturiertes Anwenden des Gelernten (Befundbeschreibung, Diagnose, schriftlicher Befundbericht mit Empfehlung für die Therapie) muss mitvermittelt werden.

Fast alle Klinikärzte in Afghanistan sind aus wirtschaftlichen Gründen zusätzlich in einer eigenen Praxis tätig. Bisher bestehen gute Möglichkeiten, mit Ultraschalluntersuchungen Geld zu verdienen. Ob die Kenntnisse auch für die wirtschaftlich uninteressanten Patienten in den Kliniken nutzbringend angewendet werden, lässt sich nach Absolvierung der Kurse nicht ausreichend kontrollieren.

Ultraschall ist in Afghanistan bisher außer in den Frauenkliniken nicht Teil einer ganzheitlichen Medizin. Ein Ultraschallspezialist macht nur Ultraschall, dagegen muss er sich in allen medizinischen Anwendungsbereichen des Ultraschalls (Innere Medizin, Chirurgie, Pädiatrie, Gynäkologie und Geburtshilfe) sonografisch auskennen. Da westliche Sonographiker dies meist nicht können, müssen immer mindestens zwei Ausbilder (Gynäkologe/Geburtshelfer und Internist/Chirurg) den Kurs leiten, fast zwingend sollte für die praktischen Übungen eine Gynäkologin dabei sein. Transvaginaler Ultraschall hat auch in Afghanistan bereits in den gynäkologischen Abteilungen der Kliniken Einzug gehalten. Da sich der gynäkologisch-geburtshilfliche Ultraschall zumindest in den großen Frauenkliniken der Städte verselbständigt, muss überlegt werden, ob dort nicht auf das Fachgebiet beschränkte Kurse sinnvoll sind.

Die völlig unterschiedlichen medizinisch-praktischen Schwerpunkte in westlichen Ländern und in Entwicklungsländern wie Afghanistan ist für westliche Ausbilder

ebenfalls ein nicht zu unterschätzendes Problem. Viele der dort vorherrschenden schweren Infektionskrankheiten (Tuberkulose, Hepatitis, Leishmaniose, Bilharziose, Askariasis, Echinokokkose) sind uns klinisch und in ihrem Ultraschallbild nur lückenhaft oder gar nicht bekannt. Schulung der Ausbilder ist dringend wünschenswert.

Ein ganz wichtiges Ziel der Kurse ist nach erfolgreichem Bestehen des Abschlusskurses neben der Anwendung auch die kompetente Weitergabe des erworbenen Wissens an weitere einheimische Ärzte, nicht zuletzt der Aufbau eines eigenen landesweiten Schulungssystems. Trotz der vielen Schwierigkeiten ist dies insoweit gelungen, als die jetzigen Kurse bereits mit nur wenig Hilfe aus dem Westen erfolgreich weitergeführt werden. Diese gelungene Hilfe zur Selbsthilfe ist allerdings wesentlich dem Glücksfall zu verdanken, dass mit Dr. Mohammad Nawab Kamal ein hochqualifizierter einheimischer Untersucher und Lehrer zur Verfügung steht, der nicht nur unsere Kurse von Anfang an praktisch und beratend begleitet hat, sondern auch inzwischen ein wichtiger Ansprechpartner der zuständigen Regierungsstellen und ein engagierter „lecturer“ an der Universität Kabul ist. Da aber auch für ihn seine wirtschaftliche Grundlage seine Praxis ist, braucht er unsere Unterstützung, um seine Zeit und Kraft der ansonsten unbezahlten Ultraschallausbildung zu widmen. Bisher sind 5 komplette Kurszyklen mit jeweils Grundkurs, Aufbaukurs und Abschlusskurs durchgeführt worden an denen etwa 150 Ärzte aus dem ganzen Land teilgenommen haben. Der letzte Kurs fand im April 2008 statt.

Schlussfolgerung:

Vor dem Beginn neuer Ultraschallausbildungsprojekte in Entwicklungsländern sollte eine ausgiebige Beratung durch bereits Erfahrene gesucht werden. Solche Erfahrungen haben wir am Anfang zu wenig gesucht. Der trotzdem eingetretene Erfolg war hart erarbeitet. Ganz wesentlich hierfür ist auch eine stetige Fürsorge organisatorischer Art im Hintergrund, in diesem Fall durch den Vereinsvorstand des ADAV, sowie die Möglichkeit der Finanzierung über Spenden und Zuwendungen karitativer Organisationen. Die momentane Sicherheitslage in Afghanistan macht allerdings den Einsatz westlicher Ausbilder derzeit fast unmöglich.

Keywords: Ultraschallausbildung Afghanistan