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DOI: 10.1055/a-2661-4581
BDSM als Ausdruck sexuellen Verhaltens und Erlebens
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Safe, Sane and Consensual – so sollte Sex grundsätzlich sein: bei Verstand, also ohne Gebrauch oder Missbrauch von Genussmitteln oder anderen Substanzen, sicher und einvernehmlich. Safe, Sane and Consensual (SSC) ist eine der Grundregeln im BDSM. Wo beginnt Gewalt? Warum erotisieren Menschen Schmerz und Erniedrigung? Und ist das überhaupt ein Thema für Hebammen?
„Aus der Reihe ‚Falsch zitierte Redewendungen‘ Beiß nie die Hand, die dich fingert. Außer du magst Ohrfeigen. Dann beiß. Und lächeln nicht vergessen. #ProTipp“
– dies schrieb „Cate“ im Januar 2025 im sozialen Netwerk Bluesky [1] . Schmerz als auslösendes Element von Wohlbefinden muss nicht unbedingt der sexuellen Lust vorbehalten sein. Mögen Sie zum Beispiel scharfes Essen? Gehen Sie zum Sport und genießen den leichten Muskelkater danach – verbunden mit dem Gefühl, es geschafft zu haben?
BDSM ist ein mehrschichtiges Akronym aus den Anfangsbuchstaben von Bondage & Discipline, Dominance & Submission sowie Sadism & Masochism [2]. Einige Autor*innen bezeichnen es als „umbrella term“: Wie ein großer Schirm spannt sich die Abkürzung über eine Vielzahl von Spielarten und Varianten [3].
Die Literatur rund um BDSM als alternative Variante sexueller Praktiken hat historisch den Fokus der Einordnung stets auf die Pathologisierung gelegt. Dieser Blickwinkel beginnt sich allmählich zu verändern. Es wird zunehmend untersucht, wo die Grenze zwischen Gewalt und gesunden Ausprägungen sexueller Vielfalt liegt, zu denen auch BDSM gehört, welche biologischen Mechanismen dieser Neigung unterliegen und welche Motivationen vorhanden sind [4].
In den psychiatrischen Klassifikationskatalogen wird heute der Blick auf Zwang und Nichteinvernehmlichkeit gelegt, um die forensische Ausprägung des pathologischen Sexualsadismus von der konsensuellen Spielart BDSM und Kink abzugrenzen. Diese Spielarten sind von Gewalt klar abzugrenzen [5].
Beide Fachbegriffe, Sadismus und Masochismus, wurden 1886 durch den Arzt Richard von Krafft-Ebing geprägt und bezeichnen psychosexuelle Störungen, denen historische Persönlichkeiten wie der Marquis de Sade und Leopold Ritter von Sacher-Masoch namentlich Pate stehen [2]. Die namentliche Zuordnung zu beiden ist problematisch und Grund für Stigmatisierung. Begrifflich besser passt „Kink“. Ein Kink ist ein Extra, eine sexuelle Vorliebe oder Praxis, die teilweise, aber nicht unbedingt, außerhalb der gesellschaftlichen Norm liegt. Er soll Spaß bringen – ist aber nicht zwingend für die Erregung notwendig. Ein Fetisch dagegen ist oft nötig, damit eine Person überhaupt Lust empfinden kann [6].
Im Kontext von BDSM reden wir in den meisten Fällen von Kink und weniger von Fetisch. Es geht hier um das Erotisieren von Machtgefällen und atypischem Lustgewinn, dies muss aber nicht unbedingt mit Sex im klassischen Sinne oder mit Schmerzen einhergehen [3].
BDSM-Begriffe kurz erklärt
Sub: Abkürzung für submissive Person, übernimmt im Spiel die empfangende, unterwerfende Rolle
Dom/me: dominante Person, die im Spiel führt, lenkt und kontrolliert; Dom/me ist eine geschlechtsneutrale Schreibweise: Dom steht für die männliche Form (Dominus), Domme für die weibliche (Domina); das Schrägzeichen zeigt beide Varianten an.
Sensual Play: sanftes, sinnliches Spiel mit Berührung, Temperatur, Düften oder Reizen
Impact Play: Spiel mit Schlägen auf den Körper (z. B. mit Hand, Paddel, Peitsche)
Flogger: mehrschwänzige Schlagpeitsche aus Leder oder Gummi für Impact Play
Bondage: Fesselung des Körpers zu Lust- oder Kontrollzwecken ([Abb. 1])
Wax Play: Spiel mit heißem Wachs zur Erzeugung kontrollierter Hitzereize
Shibari: japanische Bondageform mit kunstvollen Fesseltechniken aus Seil


Die Unterscheidung von BDSM und Gewalt ist eine Frage der sogenannte „Diskursivierung“. In den Sozialwissenschaften beschreibt dies den Prozess, durch den Themen, Begriffe oder Phänomene zu einem Gegenstand öffentlicher oder wissenschaftlicher Diskussion werden – also „in den Diskurs gebracht“ werden. Es geht darum, wie über etwas gesprochen wird, wer darüber spricht und mit welchen Folgen [7].
Eine Unsichtbarmachung im Diskurs betrifft besonders Themen, die ein erhebliches Potenzial für soziale Konflikte beinhalten. Eine Form dieser Unsichtbarmachung ist das Tabu. Tabus können als extreme Form gesellschaftlicher diskursiver Exklusion gesehen werden und haben damit erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung und die Wahrnehmung der tabuisierten Bereiche. Gerade im BDSM ist die Abgrenzung zur Gewalt und zur Kriminalisierung wichtig. Es geht um den schmalen Grat zwischen Spiel und Realität, zwischen Zwang und Einvernehmen. Der Rechtsschutz, den BDSM hier genießt, fußt auf einem wichtigen Grundsatz: SSC. „Sane – Safe – Consensual“ bedeutet, dass alle Handlungen im freiwilligen Einvernehmen aller Interaktionspartner*innen und sicher ausgeführt werden. Dann – und nur dann – unterliegen sie §228 StGB, welcher als Paragraf alle sozialen Praktiken schützt, die körperliche (und/oder seelische) Verletzungen beinhalten und im Einvernehmen geschehen. Unter diesen Paragrafen fallen auch Tätowierungen, chirurgische Eingriffe, Friseurbesuche und eben auch BDSM [2].
BDSM-Praktiken und -Elemente werden meist in einer Session, im Spiel, realisiert. Dieses Spiel bewegt sich in einem abgestimmten zeitlichen Rahmen und innerhalb vorher von allen Beteiligten festgelegter Grenzen. Eine Perspektive auf die Gründe bietet Hans van der Geest: „Jeder Mensch muss mit seinen aggressiven Impulsen leben lernen […] Er kann versuchen, sie auszumerzen. Das setzte voraus, dass unser Unterbewusstsein belehrbar und veränderbar wäre. Es ist es aber nicht. Folglich können wir nur versuchen, die unausweichlichen Impulse zu beherrschen. Der Sadomasochist beherrscht sie, indem er die Gewalt zulässt, wo sie nicht schaden kann: im Spiel“ [8]. Diese Einordnung aus den 1990er-Jahren bezieht sich auf die damals (aber auch noch heute) verbreitete Annahme, die Motivation zum BDSM habe ihren Ursprung in Traumata in der Kindheit und Missbrauchserfahrungen. Diese Annahme wird durch die Forschung der letzten 10–15 Jahre nicht bestätigt: Die Prävalenzen solcher Erfahrungen sind bei Praktizierenden des BDSM sogar geringer als in der allgemeinen Bevölkerung. Forschende fanden ebenso Hinweise darauf, dass Personen, die im sexuellen Spiel sadistisch erregt werden, im Alltag wenig bis keine sadistischen Tendenzen sowie weniger Fälle von häuslicher Gewalt zeigen. Sie unterscheiden klar zwischen pathologischem Alltagssadismus – der Freude am Quälen von Individuen und/oder Tieren im täglichen Leben – auf der einen Seite und dem „sexuellen Sadismus“ im BDSM auf der anderen Seite [3].
Eine weitere wichtige Unterscheidung ist der bereits erwähnte Konsens [2] [10]. Auch innerhalb der BDSM-Community ist die Diskussion um den Konsens und dessen Tragweite inhärenter Bestandteil des Diskurses [11]. Die Kommunikation über Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen (sogenannte „soft limits“ und „hard limits“) gehört für den überwiegenden Teil der Praktizierenden zur Normalität, nicht nur in BDSM-bezogener Sexualität. Das beinhaltet auch die Mechanismen, den gegebenen Konsens zu ändern oder ganz zu verweigern: Safewords. Diese können verbal und nonverbal sein – ein einzelnes Wort, das Ampelsystem (grün = okay, rot = Abbruch) oder Zeichen wie Gebärden oder Klopflaute [12]. Praktizierende Personen im Kink-Bereich empfinden expliziten Konsens sowohl im Spiel als auch in nicht-kink-bezogenen Lebensbereichen als deutlich wichtiger als die Vergleichspopulation außerhalb der Szene [13].
„Ja heißt Ja“ ist im Kink üblich. Ein Nein ist ein Nein und kein Vielleicht. Auch hier kann man von den Praktizierenden lernen [12].
Neben SSC besteht als verbreitetes Konzept im BDSM eine erweiterte Kontrollform: Risk Aware Consensual Kink (RACK). Sie berücksichtigt, dass die Sicherheit nicht bei allen Praktiken gegeben sein kann. Bei Praktiken wie Impact Play, Bondage, Wax Play und anderen besteht immer ein Verletzungsrisiko. Risk Aware unterstreicht das Bewusstsein für dieses Verletzungspotenzial. Consensual Kink betont die Freiwilligkeit und das Einvernehmen für kinky Verhalten und Spiel [2].
Daneben existieren – neben vielen weiteren Konzepten – noch die „4 C“: Consent, Communication, Caring and Caution [14] [15].
Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen BDSM und Gewalt sind in der [Tab. 1] nach Iniewicz und Niebudek [16] zusammengefasst:
|
BDSM |
Gewalt |
|---|---|
|
Konsens |
kein Konsens |
|
kontrollierte Handlungen |
unkontrollierte Handlungen |
|
Safeword, Stoppsignal |
keine Möglichkeit für das Opfer, die Handlung zu unterbrechen oder zu beenden |
|
vertraut sein und beachten von Präferenzen und Wünschen der Partnerperson |
Missachten der Wünsche und Bedürfnisse der anderen Person |
|
kein Gebrauch psychoaktiver Substanzen |
oft in Zusammenhang mit dem Gebrauch psychoaktiver Substanzen (Alkohol, Drogen) |
|
Befriedigungsgefühl während und nach der Session |
negative Gefühle nach der Gewalthandlung |
|
feste Trefferzonen und Spurenmuster nach dem Aspekt von RACK |
Abwehrverletzungen |
Die Spurenmuster unterscheiden sich zwischen Gewalt (zum Beispiel häuslicher) und im BDSM ebenfalls deutlich ([Tab. 1]). Im BDSM erfolgen Schläge (abgesehen von Backpfeifen/ Ohrfeigen) nicht ins Gesicht. Die Spurenmuster folgen in der Regel einer Logik: Trefferzonen haben viel Unterhautfettgewebe und Muskulatur, betreffen keine Gelenke, Kopf und Hals werden nicht anvisiert ([Abb. 3]) [9]. Spuren häuslicher Gewalt können dagegen in aller Regel aus Abwehrreaktionen erklärt werden.


Publication History
Article published online:
21 October 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Cate. Post auf der Plattform Bluesky am 11.01.2025 um 18:49. Zugriff am 02.06.2025 unter https://bsky.app/profile/lessdressed.bsky.social/post/3lfibf45jak2e
- 2 Deremetz A. Die BDSM-Szene. Eine ethnografische Feldstudie. Reihe „Angewandte Sexualwissenschaft“, Bd. 13. Gießen: Prosozial-Verlag; 2018
- 3 Williams D, Sprott RA. Current biopsychosocial science on understanding kink. Curr Opin Psychol 2022; 48: 101473
- 4 Pitagora D. No pain, no gain? Therapeutic and relational benefits of subspace in BDSM contexts. J Posit Sex 2017; 3: 44-54
- 5 Krüger TH. Sexueller Sadismus: Aktueller Wissensstand und die Codierung gemäß DSM-5-TR und ICD-11. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2021; 15: 39-46
- 6 Sprott RA, Herbitter C, Grant P. et al. Clinical guidelines for working with clients involved in kink. J Sex Marital Ther 2023; 49: 978-995
- 7 Bührmann AD. Diskursforschung und Dispositivkonzept. In: Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Dispositivanalyse. Bielefeld: transcript-Verlag; 2008
- 8 Geest H. Verschwiegene und abgelehnte Formen der Sexualität. Eine christliche Sicht. Zürich: Theologischer Verlag; 1990
- 9 Cross J. BDSM Impact Play Safe Zone Guide. Zugriff am 01.06.2025 unter https://justinecross.gumroad.com/l/rztRB
- 10 De Neef N, Coppens V, Huys W. et al. Bondage-discipline, dominance-submission and sadomasochism (BDSM) from an integrative biopsychosocial perspective: A systematic review. Sex Med 2019; 7: 129-144
- 11 Graham B, Butler S, McGraw R. et al. Member perspectives on the role of BDSM communities. J Sex Res 2016; 53: 895-909
- 12 Tarleton HL, Mackenzie T, Sagarin BJ. Consent norms in the BDSM community: Strong but not inflexible. Arch Sex Behav 2025; 54: 549-559
- 13 Harris E, Morgenroth T, Crone D. et al. Sexual consent norms in a sexually diverse sample. Arch Sex Behav 2024; 53: 577-592
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- 15 Williams D, Thomas J, Prior E. et al. Introducing a new framework for negotiating BDSM participation. Electron J Hum Sex 2014; 17: 1-10
- 16 Iniewicz G, Niebudek A. Between submission and pain. Shades of BDSM practises. Psychiatr Pol 2023; 57: 467-484
- 17 Sturmwolkenblau. BDSM und Feminismus aus dem Blickwinkel einer Hebamme. Schlagzeilen 2025; 211
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