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DOI: 10.1055/a-2647-7213
Zwischen den Jahren – zwischen Außen und Innen
Authors
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Spätsommer bei fast 30 Grad im Schatten ein Editorial für die letzte Ausgabe des Jahres aus dem Ärmel zu schütteln, stellt eine komplexe Herausforderung meiner gefühlten Vorstellungskraft dar. Doch gerade dieser Kontrast zwischen äußerer Sommerhitze und innerer Einstimmung auf die kalte Jahreszeit führt uns direkt zu dem Thema, um das es hier gehen soll.
Wir sind jetzt in einer Jahreszeit, in der wir – dem Vorbild der Natur folgend – unseren Fokus vom Leben im Außen wegbewegen und verstärkt nach innen richten dürfen.
In unserem Beruf liegt der Schwerpunkt so oft im Äußeren: das Wohlergehen und die Genesung der Patienten, das Verständnis und die Zusammenarbeit mit den Tierhaltern, die reibungsarmen Abläufe im Praxisalltag, die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter und Kollegen. Doch so wichtig all dies ist – wir werden allen Anstrengungen und Versuchen zum Trotz in dieser äußeren Welt allein nicht glücklich. Denn wie die zweite Seite einer Medaille gehört auch das Innenleben dazu. Wir Menschen sind mehr als nur Körper und Materie. Um dieses Innen gilt es sich zu kümmern, es zu hegen und zu pflegen. Denn gerade als ganzheitlich Tätige ist die Fähigkeit, anderen zu helfen und zu heilen, untrennbar damit verbunden, selbst heil zu sein.
Um heil zu bleiben – oder es wieder zu werden – braucht jedes Individuum etwas anderes. Doch der allererste Schritt ist für uns alle derselbe: innezuhalten und zu spüren „Wie fühle ich mich?“. Die Wahrnehmung des eigenen Befindens kommt allzu oft viel zu kurz. Es geht fast immer um die Befindlichkeiten der anderen, selten um unsere eigenen.
Die Euthanasie und der Umgang damit ist in diesem Zusammenhang ein zentrales Thema – und soll hier als exemplarisches Beispiel dienen. Wir machen uns Gedanken darüber, wie der Besitzer damit zurechtkommt, wie die Angehörigen oder das Partnertier reagieren; zusätzlich kümmern wir uns um die Logistik in der Praxis. Doch kaum jemand fragt: Wie geht es eigentlich uns selbst dabei? Wie gehen wir damit um, das Leben eines fühlenden Wesens mit eigener Hand zu beenden? Es wird oft als Teil unseres Jobs hingenommen. Doch zu glauben, der emotionale Ballast bleibe einfach so im Kittel hängen, wenn wir die Praxis verlassen, ist illusorisch.
Gerade deshalb ist es so wichtig, sich diesen Gefühlen zuzuwenden, das Gedankenkarussell – „War es zu früh? Habe ich zu lange gewartet? Hätte es mehr gebraucht vom Relaxans?“ – zu stoppen und sich zu erlauben, die eigenen Emotionen wahrzunehmen und wertungsfrei zu akzeptieren. Wenn man es geschafft hat, diese aus der Tiefe hervor ins Bewusstsein zu holen, kann man sie benennen – „Ich fühle mich traurig, wütend, enttäuscht...“ – und im nächsten Schritt annehmen. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn man sich genauso gerade fühlt.
Die nun beginnende „stade Zeit“ bietet uns die Möglichkeit, Raum dafür zu schaffen. Sie lädt uns ein, nach innen zu lauschen und uns um uns zu kümmern. Es ist das, was heute oft „Selbstfürsorge“ genannt wird – und sie ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, damit es uns als Heilenden gut geht und wir heil bleiben. Zum Wohl aller: unserer Patienten, ihrer Menschen – und nicht zuletzt zu unserem eigenen.
Ich wünsche Ihnen in dieser Winterzeit viele Momente der Ruhe und des Innehaltens, in denen Sie sich selbst wahrnehmen und stärken können. Diese Ausgabe möchte Sie auf diesem Weg begleiten – mit Inspiration, fachlichem Austausch und Anregungen für Herz und Geist.
Dörte von Bremen
Publication History
Article published online:
12 November 2025
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