Neonatologie Scan 2025; 14(03): 179-181
DOI: 10.1055/a-2567-8639
Editorial

Pionierarbeit in der Neonatologie: Fortschritte und Erkenntnisse zu Perzentilen

Liebe Leserinnen und Leser,
Dirk Manfred Olbertz
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Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe lesen Sie einen Fortbildungsbeitrag von Prof. Dr. Roland Hentschel zum Thema „Perzentilen“ den der Autor dem Nestor der deutschen Perzentilenforschung in der Neonatologie, PD Dr. rer. med. habil. Manfred Voigt, gewidmet hat.

Die richtige Zuordnung der Neugeborenen zu Risikogruppen setzt eine wissenschaftlich exakte somatische Klassifikation und Einordnung voraus. Dabei ist es vor allem wichtig, zwischen Störungen des fetalen Wachstums als Folge intrauteriner oder mütterlicher Krankheiten (Hypotrophie – Small for Gestational Age – bzw. Hypertrophie – Large for Gestational Age) und eutrophen, genetisch klein- bzw. großwüchsigen Neugeborenen zu unterscheiden. Das ist vor allem für die Prognose wichtig, da sich die perinatale Morbidität und Mortalität dieser Kohorten grundsätzlich unterscheidet. In der Perinatalmedizin hat sich die Klassifikation nach somatischen Merkmalen durch Perzentilwertdarstellung der Beziehung von Körpermaßen und Schwangerschaftsdauer schon lange bewährt. Sie ist eine übersichtliche, visuell einprägsame Verfahrensweise, die aussagekräftig und wissenschaftlich gut fundiert ist

Manfred Voigt hat sich schon in seinen frühen Arbeiten auf die somatische Klassifikation und die Erstellung von Perzentilwertkurven der Geburtskörpermaße Neugeborener in der damaligen DDR konzentriert. Schon damals untersuchte er den Einfluss von mütterlichen und auch väterlichen Körpermaßen auf die Geburtskörpermaße ihrer Neugeborenen.

Im Jahre 1995 schloss er seine Habilitationsschrift zum Thema „Untersuchungen und Vorschläge zur Verbesserung der Klassifikation des somatischen Entwicklungsstandes Neugeborener“ ab.

Nach der Wiedervereinigung wurde die Perinatalerhebung aller in Geburtskliniken geborenen Kinder auch in den neuen Bundesländern bei den Ärztekammern angesiedelt. Manfred Voigt hat den großen Wert dieser gesamtdeutschen Datenerhebung für die perinatalmedizinische Forschung erkannt und genutzt. Mit kommunikativer Stärke und Netzwerkqualitäten ist es ihm gelungen, von allen Ärztekammern die Rohdaten der Deutschen Perinatalerhebung für die wissenschaftliche Auswertung zu erhalten. Seine so 1996 aus über 2 Million Geburtsdatensätzen publizierten Perzentilwertkurven für die Geburtskörpermaße von Neugeborenen haben sich im deutschsprachigen Raum flächendeckend verbreitet und werden in nahezu allen Geburtskliniken zur somatischen Klassifikation angewendet. Wir alle wissen, wie wichtig diese Klassifikation unmittelbar nach der Geburt zur Identifikation von Risikoneugeborenen ist.

Diese Perzentilwertkurven wurden durch ihn 2014 bis 2016 mit aktuellen, vom AQUA-Institut bereitgestellten Daten der Perinatalerhebung erneuert und um Perzentilwertkurven für Zwillinge und erstmals in Deutschland auch für Drillinge erweitert. Es folgte Arbeiten zum Vergleich der Geburtsgewichts- und Geburtslängenperzentilen von Einlingen, Zwillingen und Drillingen aus demselben AQUA-Datensatz der Jahre 2007 bis 2011. Manfred Voigt konnte u.a. zeigen, dass die 10. Perzentilwerte des Geburtsgewichts der Drillinge schon ab etwa 31. vollendeten Schwangerschaftswochen gegenüber den Einlingswerten abfallen.

Für die klinische Anwendung von Geburtsgewichtsperzentilen ist auch die Kenntnis der wesentlichen Einflussfaktoren auf die somatische Klassifikation Neugeborener von großer Bedeutung. Zu diesen Einflüssen gehören u. a. die mütterlichen (und väterlichen) Körpermaße. Die somatische Klassifikation der Neugeborenen unter Berücksichtigung der Körperhöhe der Mutter ist deshalb sinnvoll, damit die „genetisch“ kleinen bzw. großen, aber gesunden Neugeborenen nicht fälschlich als hypotrophe bzw. hypertrophe Neugeborenen klassifiziert werden.

In vielen wissenschaftlichen Kooperationen hat Manfred Voigt die mütterlichen Einflussfaktoren auf die somatische Klassifikation untersucht und in den Perzentilkurven der Neugeborenen vor allem die mütterlichen Gewichts- und Körperhöhenklassen berücksichtigt. Hierdurch gelang die notwendige Eingrenzung auf tatsächlich relevante Hypotrophie und Hypertrophie Neugeborener. Diese Arbeiten sind von hohem praktischem Nutzen und letztlich auch von Kostenrelevanz im Gesundheitswesen.

Die Untersuchungen von Manfred Voigt zum Einfluss der Körpermaße der Eltern auf das Geburtsgewicht ihrer Neugeborenen bestätigten mittels multivariater Regressionsanalyse den großen Einfluss der Körperhöhe der Mutter und des Körpergewichtes der Mutter auf das Geburtsgewicht. Erst danach folgt die Körperhöhe des Vaters. Das Gewicht des Vaters zeigt nahezu keinen Einfluss auf das Geburtsgewicht.

Die Kenntnis von Risikofaktoren für Schwangerschaftskomplikationen stellt die Voraussetzung für eine gezielte Prävention dar. Bei Erkennen von Risikomerkmalen kann eine intensivierte Schwangerenvorsorge möglicherweise das Auftreten von Komplikationen bei Mutter und Kind verzögern oder gar verhindern. Mit seinen Analysen, basierend auf Daten der deutschen Perinatalerhebung hat Manfred Voigt die anamnestischen Risiken bei Schwangerschaft für das Auftreten einer Hypotrophie beim Neugeborenen analysiert und dabei Mütterliches Rauchen als bedeutsamsten Risikofaktor identifiziert und bezüglich der Anzahl der täglich in der Schwangerschaft gerauchten Zigaretten auch einen klaren Dosiseffekt nachgewiesen. Seine auf diesen Erkenntnissen basierenden Aufklärungs- und Präventionskampagnen haben dazu beigetragen, dass der mütterliche Zigarettenkonsum in der Schwangerschaft inzwischen zurückgegangen ist.

Mit seinem großen wissenschaftlichen Engagement zählt Manfred Voigt zu den verdienstvollen Wissenschaftler der Perinatalen Medizin in Deutschland.

Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin verlieh ihm im Jahr 2023 für sein Lebenswerk den Maternité-Preis.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und verbleibe mit den besten Grüßen

Ihr
Dirk Manfred Olbertz

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Abb. 1 PD Dr. Dr. Manfred Voigt

* Manfred Voigt (*1945), Studium der Agrarwissenschaft in Rostock, Zusatzstudium “Informationsverarbeitung in den Biowissenschaften“ an der MLU Halle-Wittenberg, Promotion zum Dr. agr. in Biometrie und Versuchswesen. 1970–1971: Tätigkeit als Problemanalytiker beim VEB Maschinelles Rechnen in Rostock. 1972–1990: wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialhygiene, Medizinische Fakultät der Universität Rostock (Forschungsprojekt: Untergewichtigkeit und Frühgeburtlichkeit bei Neugeborenen). 1990: Abschluss als Fachingenieur für Biomathematik und Medizinische Informatik an der Akademie für Ärztliche Fortbildung der DDR, Berlin. 1995: Habilitation zum Thema “Untersuchungen und Vorschläge zur Verbesserung der Klassifikation des somatischen Entwicklungsstandes Neugeborener“ an der Universität Potsdam (Dr. rer. nat. habil.), verbunden mit der Lehrbefugnis für das Fachgebiet Humanbiologie. 2000–2024: Gründungsmitglied und freier Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Wachstum, Entwicklung und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter, Berlin. 2004: Umhabilitierung an die Medizinische Fakultät der Universität Greifswald (Dr. rer. med. habil.) und formale Anbindung an die Abt. Neonatologie. 2006: Gründung des Instituts für Auxologie am Klinikum Südstadt (Rostock). 2023: Verleihung des Maternité-Preises der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin in Würdigung seines Lebenswerks. 173 wissenschaftliche Publikationen, davon 47 PubMed-gelistet, davon 32 als Erstautor.



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Article published online:
01 September 2025

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