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DOI: 10.1055/a-2564-4623
Editorial

Notfallsituationen stellen eine besondere Herausforderung für die meisten nuklearmedizinischen Praxen und Abteilungen dar, da sie nicht zum Alltag gehören. Bei deren Auftreten ist ein rasches Handeln erforderlich, das die Grundlage eines fundierten Fachwissens sowie einer klaren interdisziplinären Zusammenarbeit hat. Das vorliegende Themenheft der Angewandten Nuklearmedizin widmet sich diversen praxisrelevanten, klinischen Szenarien – von metabolischen Krisen über technische Herausforderungen bis hin zu kulturellen Aspekten der Notfallversorgung.
Den Anfang macht ein Beitrag von Emmelheinz, der sich mit endokrinologischen Notfällen befasst. Diese werden in der allgemeinen Routine häufig vernachlässigt, gewinnen jedoch insbesondere in der Schilddrüsendiagnostik oder -therapie rasch an klinischer Relevanz.
Calov et al. beschäftigen sich mit hypo- und hyperglykämischen Krisen, die in der täglichen Arbeit durchaus häufiger vorkommen können – sei es bei vorerkrankten Patienten oder als unerwartete Begleiterscheinung einer Therapie.
Einen umfassenden Überblick über radiologische und nuklearmedizinische Notfalllagen geben Grunert et al. in einem CME-Artikel. Der Fokus liegt hierbei auf praxisnahen Handlungsempfehlungen, die von Kontrastmittelreaktionen über radiopharmazeutische Komplikationen bis hin zu Notfällen im Rahmen nuklearmedizinischer Therapien reichen.
Die Relevanz dieses Themas wird durch die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen und die zunehmende Nutzung nuklearer Technologien betont. Es wird darauf hingewiesen, dass es für Strahlenmediziner unerlässlich ist, sich auch mit großräumigen nuklearen Notfalllagen auseinanderzusetzen, sei es im Falle eines Reaktorunfalls, einer unerwarteten Strahlenexposition oder gar einer Atomexplosion.
Ein besonders spannender Aspekt ist die Behandlung nicht-deutschsprachiger Patienten in der Nuklearmedizin und das daraus resultierende interkulturelle Notfallmanagement, das Machado in seinem Beitrag thematisiert. In der Akutsituation ist neben medizinischem Können auch die Kommunikationsfähigkeit von entscheidender Bedeutung, die jedoch nicht bei allen Patientinnen und Patienten gleich ist. Sprachbarrieren, kulturelle Prägungen oder religiöse Bedenken können die Behandlung und insbesondere die Akutversorgung beeinflussen.
Neben einer eingeschränkten Kommunikation spielen auch familiäre Hierarchien, religiöse Aspekte (z. B. Bluttransfusionen, Geschlechtertrennung oder spirituelle Betreuung in Notfallsituationen) eine wichtige Rolle.
Die rechtlichen Fallstricke liegen weniger im medizinischen Handeln selbst, sondern in der Sicherstellung von Verständnis und Dokumentation. Eine sorgfältige Vorbereitung, die die Einbeziehung von Dolmetschern, Checklisten und Schulungen umfasst, trägt zur Risikominimierung und zur Verbesserung der Patientensicherheit bei.
Die zentralen rechtlichen Problemfelder umfassen:
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Aufklärung und Einwilligung bei nuklearmedizinischen Untersuchungen (§ 630e BGB)
Sprachliche Verständlichkeit: Die mündliche Übersetzung durch Angehörige ist rechtlich riskant (Interessenkonflikt, Fachbegriffe). -
Bei Notfallbehandlung ohne Einwilligung gemäß § 630d BGB ist zu berücksichtigen, dass der mutmaßliche Wille des Patienten gilt, sofern es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall (z. B. anaphylaktischer Schock nach Radiopharmakon-Gabe) handelt.
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Datenschutz (Art. 9 DSGVO): In der Praxis kommt es vor, dass Dolmetscher oder Familienangehörige unbefugt an der Behandlung teilnehmen. Die Weitergabe medizinischer Daten (z. B. Krebsdiagnose) an Dritte ohne Einwilligung verstößt gegen die Schweigepflicht.
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Darüber hinaus besteht eine Dokumentationspflicht gemäß § 630f BGB, die eine lückenlose Dokumentation aller Maßnahmen (inkl. Kommunikationswege) vorschreibt. Fehlende Aufzeichnungen über Dolmetschereinsatz oder Verständnissicherung können im Schadensfall eine Beweislastumkehr auslösen.
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Bei Fehlkommunikation sind erhebliche Haftungsrisiken zu berücksichtigen. Behandlungsfehlervorwürfe entstehen häufig durch Missverständnisse (beispielsweise bei pharmakologischen Belastungen im Rahmen einer Myokardszintigraphie). Gemäß der Rechtsprechung sind Ärzte dazu verpflichtet, "zumutbare Maßnahmen" zu ergreifen, um ein Verständnis der Patienten zu gewährleisten (vgl. LG München I, Az. 9 O 5421/18). Dies beinhaltet die Pflicht, die Patientinnen und Patienten über die mit der Behandlung verbundenen Risiken aufzuklären. Die Beauftragung von Laienübersetzern (beispielsweise Familienangehörige) ist dabei nicht ausreichend.
Abschließend bietet Greulich in ihrem Artikel eine praktische Anleitung zur Portpunktion an. Hierbei handelt es sich um einen Routineeingriff in onkologischen Abteilungen, der bei fehlenden peripheren Zugängen bei Tumorerkrankten auch in der Nuklearmedizin immer mal wieder notwendig wird und im Ernstfall zur Herausforderung werden kann, wenn er unter Zeitdruck oder bei Komplikationen durchgeführt werden muss.
Das vorliegende Themenheft soll dazu anregen, die eigenen Abläufe, Notfallpläne und Teamsituationen mit einem frischen Blick zu betrachten, um für Notfallszenarien vorbereitet zu sein.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
28. Mai 2025
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