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DOI: 10.1055/a-2543-9559
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Beim Schreiben dieser Zeilen ist der Wahlkampf in Deutschland auf seinem Höhepunkt. Wenn Sie den Beitrag lesen, hat sich, so ist zu hoffen, eine neue Regierung konstituiert und deren Aufgaben diskutiert. Dabei wird die Leitung des Bundesgesundheitsministeriums mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sein, die in den Wochen des Wahlkampfes nicht unbedingt im Fokus der Aufmerksamkeit lagen. Eine alternde Gesellschaft mit Geburtenrückgang, Fachkräftemangel, unzureichende Digitalisierung, steigende Kosten im Gesundheitswesen bei gleichzeitiger Notwendigkeit, Lohnnebenkosten und damit auch Krankenkassenbeiträge niedrig zu halten, sind nur einige Stichpunkte, welche die Agenda bestimmen und deren Bearbeitung priorisiert werden muss.
Genau an dieser Stelle möchte ich die politischen Entscheidungsträger einladen, das gesunde Aufwachsen der künftigen Generation in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür gibt es gute Argumente: Einerseits sind wir es der kommenden Generation nicht nur schuldig, sondern sollten auch im Interesse der alternden Gesellschaft die Jungen in den Blick nehmen. Andererseits ist es auch ein ökonomisch sinnvoller Ansatz. Wie der Nobelpreisträger J.J. Heckman zeigte, wird der zu erwartende return on invest maximiert, wenn die Investitionen bereits vor der Geburt beginnen. Und letztlich können die positiven Erfahrungen der Perinatalmedizin auch für andere Bereiche der stationären Versorgung genutzt werden.
Der bisherige Bundesgesundheitsminister Herr Lauterbach hat eine Dynamik in Gang gesetzt, die überfällig war. Ihm und seinem Team möchte ich an dieser Stelle im Namen der Fachgesellschaft meinen Dank aussprechen. Auch wenn man viele Detailentscheidungen diskutieren kann, stimmt die prinzipielle Richtung. Die in der Perinatalmedizin schon lange selbstverständliche abgestufte Versorgung soll künftig für viele Bereiche der stationären Versorgung übernommen werden, die Beschreibung der perinatalen Leistungsgruppen bezieht sich auf lange existierende Regelungen in der QFR-RL und das mit perinatalzentren.org etablierte Prinzip der Sichtbarmachung von Qualität der Versorgung sollte mit dem Klinikatlas für andere Bereiche der stationären Versorgung kopiert werden.
Welche Schritte sind jetzt unter der künftigen Leitung des Gesundheitsministeriums notwendig und wie müssen die Rahmenbedingungen aussehen, damit auch in Zukunft ein gesundes Aufwachsen möglich ist? Die Ziele lassen sich wie folgt zusammenfassen: (i) stärkere Zentralisierung der Maximalversorgung, (ii) Absicherung der Grundversorgung in der Fläche durch perinatologische Kompetenzverbünde, (iii) Vorhaltung pädiatrischer Expertise bei jeder Geburt, (iv) verbindliche Vorgaben von Qualitätsanforderungen für hebammengeleitete Kreißsäle in Krankenhäusern. Die notwendigen Schritte wurden wissenschaftlich fundiert von der Expertenkommission in ihrer 12. Stellungnahme skizziert. Die maßgeblichen Fachgesellschaften unterstützen diese Empfehlungen und stehen bereit, deren konkrete Umsetzung aktiv mitzugestalten.
Gemeinsam sollten politische Entscheidungsträger mit wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Krankenhausträgern, Krankenkassen und Vertretern der Bundesländer diskutieren, wie (und nicht ob) die vorliegenden Vorschläge in die Versorgungsrealität überführt werden können. Dabei wird es wichtig sein, die emotionale Ebene, welche die letzte Phase des Wahlkampfes in vielen Bereichen dominierte, durch wissenschaftliche Argumente zu ersetzen. Auch wenn das Thema Schwangerschaft und Geburt (zum Glück) in den meisten Fällen mit sehr positiven Emotionen besetzt ist, sind wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft gefordert, die notwendige Datengrundlage für rationale Entscheidungen zu liefern. Die DGPM ist mit ihrem Forschungsnetzwerk hervorragend aufgestellt, einen kritischen Blick auf die Versorgungsrealität in Deutschland zu werfen. Gleichzeitig müssen wir internationale Erfahrungen kritisch analysieren und deren Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse prüfen.
Auch in Zukunft sollen Schwangerschaft und Geburt für alle Beteiligten ein wundervolles Erlebnis sein, das nicht durch unnötige medizinische Interventionen beeinträchtigt wird. Um das zu ermöglichen sind Rahmenbedingungen erforderlich, welche die Sicherheit für Mutter und Kind unter der Geburt gewährleisten. Wir sollten uns nicht mit einem durchschnittlichen Platz im europäischen Ranking der Mütter- bzw. Neugeborenensterblichkeit zufriedengeben. Bei Geburtenrückgang, fehlenden Fachkräften und steigenden Kosten im Gesundheitssystem müssen neue Wege gegangen werden, die auch neue Technologien und Kooperationen beinhalten. Wir sind es der künftigen Generation schuldig, heute die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, die auch morgen eine sichere Schwangerschaft und Geburt und damit ein gesundes Aufwachsen ermöglichen.
Liebe Mitglieder der DGPM, bringen Sie sich aktiv in diese Entwicklung ein. Kontaktieren Sie uns, engagieren Sie sich im Forschungsnetzwerk oder überzeugen Sie die politischen Entscheidungsträger von der Wichtigkeit Ihrer Arbeit.
Ihr
Mario Rüdiger
PS: Wenn Sie noch Argumente benötigen, warum die Strukturreformen notwendig sind, dann hören Sie sich den NeoCast mit Herrn Trenner an. Als sehr engagierter Vater einer sehr früh geborenen Tochter gibt er einen beeindruckenden Einblick in das Leben mit einer taub-blinden Erwachsenen.


Publication History
Article published online:
03 April 2025
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