Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2524-4429
Rapid-acting antidepressants: die schnell wirksamen Antidepressiva – ein Kommentar

Schon seit Jahrzehnten ist die Weiterentwicklung von Antidepressiva ins Stocken geraten. Seit Langem spricht man von einer Innovationskrise, zumindest im Hinblick auf das Ziel einer stärkeren Wirksamkeit als die der Antidepressiva der 1. Generation.
Das Ziel, Substanzen zu finden, die wirksamer sind als Trizyklische Antidepressiva, hat sich im Wesentlichen nicht erfüllt. Im Gegenteil haben kritische Metaanalysen unter Einschluss auch nicht publizierter Studien, das heißt unter Berücksichtigung des Publikationsbias, sogar aufgezeigt, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva deutlich überschätzt wurde. Denn kritische Analysen konnten – zumindest bei leicht- bis mittelgradigen depressiven Episoden – keinen oder kaum einen Unterschied der Wirksamkeit von Antidepressiva im Vergleich zu Placebo-Präparaten bei Depression zeigen [1].
Da neben dem Aspekt der Wirksamkeit auch die Wirklatenz ein Problem darstellt, ist nachvollziehbar, dass deshalb zumindest die Aussicht auf neue, schnell wirksame Präparate wichtig ist. Denn in der Tat kann es für einen Menschen in einem sehr schweren chronischen depressiven Zustand ein Hoffnungssignal sein, zu erleben, dass sich seine Lage überhaupt ändern kann und er zumindest vorübergehend ein Aufklaren seiner Stimmung wahrnimmt – die hoffentlich natürlich auch länger anhält und eine damit verbundene positivere Sicht auf die Welt mit sich bringt. Dies ist insbesondere entscheidend für die Prävention von Suiziden bei depressiven Patienten [2]. Hierfür bieten schnell wirksame Antidepressiva erste Ansätze, da diese bereits innerhalb weniger Stunden wirken und die depressive Symptomatik reduzieren [3].
Was allerdings fehlt und wir viel mehr bräuchten, wäre der Blick auf die langfristigen Effekte und Wirkungen der Antidepressiva, das heißt, auf die Nachhaltigkeit der Therapie. Zurecht haben wir erkannt, wie wichtig es ist, dass wir uns mit den langfristigen Folgen unseres Tuns auseinandersetzen. Warum also wird dieser Aspekt in der Forschung zu Therapien bei Depression vernachlässigt? Die Anzahl der Menschen, die dauerhaft über Jahre und Jahrzehnte Antidepressiva einnimmt, wird immer größer, ohne dass der Nutzen einer langfristigen Dauertherapie mit diesen Substanzen klar belegt ist. Eine Metaanalyse zu Follow-up-Untersuchungen nach Beendigung von antidepressiven Therapien hat aufgezeigt, dass Patienten, die Psychotherapie erhielten, langfristig geringere Rückfallraten aufwiesen, als solche, die Antidepressiva erhielten [4]. Wobei dies nur darauf hinweist, dass Psychotherapie eine nachhaltigere Wirkung hat – und noch nicht die Frage beantwortet, welchen Einfluss eine Antidepressiva-Therapie auf den langfristigen Verlauf hat.
Darüber hinaus ist die neue Klasse der schnell wirksamen Antidepressiva natürlich auch dazu geeignet, zu schnell publizierbaren Studienergebnissen zu kommen. Die wissenschaftlichen Fachzeitschriften sind voll von Artikeln darüber. Studien zum Langzeitverlauf hingegen sind äußerst mühsam, und die Ergebnisse völlig unklar; sicher ist auch das ein Grund, warum es kaum Forschung dazu gibt. Angesichts der seit Jahrzehnten und auch zuletzt immer weiter steigenden Verordnungszahlen von Antidepressiva wäre es sehr wichtig, unbedingt mehr Langzeitstudien mit antidepressiven Therapieverfahren durchzuführen und die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, wie sich die Therapien über lange Sicht auf den Krankheitsverlauf auswirken.
Ulrich Voderholzer
Publication History
Article published online:
08 May 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Rief W, Kube T. Placebo effect in the treatment with antidepressants: Implications for the scientific evaluation and clinical use of pharmaceutical treatments of depression. Nervenarzt 2025; 96: 128-137
- 2 Canuso CM, Singh JB, Fedgchin M. et al. Efficacy and safety of intranasal esketamine for the rapid reduction of symptoms of depression and suicidality in patients at imminent risk for suicide: results of a double-blind, randomized, placebo-controlled study. American Journal of Psychiatry 2018; 175: 620-630
- 3 Medeiros GC, Matheson M, Demo I. et al. Brain-based correlates of antidepressant response to ketamine: a comprehensive systematic review of neuroimaging studies. Lancet Psychiatry 2023; 10: 790-800
- 4 Voderholzer U, Barton BB, Favreau M. et al. Enduring effects of psychotherapy, antidepressants and their combination for depression: a systematic review and meta-analysis. Frontiers in Psychiatry 2024; 15