Die Wirbelsäule 2025; 09(02): 56-57
DOI: 10.1055/a-2480-4270
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Degenerative lumbale Spondylolisthese: Dekompression mit oder ohne Fusion?

Lukas Schönnagel
,
Thilo Khakzad

In den letzten Jahren wird zunehmend diskutiert, ob eine alleinige neurale Dekompression eine gleichwertige Alternative zur instrumentierten Fusion in der Behandlung der degenerativen Spondylolisthese darstellt und dies löst weiterhin kontroverse Diskussionen aus [1]. Die degenerative Spondylolisthese ist ein häufiges Krankheitsbild und führt unbehandelt häufig zu chronischen, meist lumbalen Schmerzen sowie im Rahmen erworbener Stenosen des Spinalkanals und der Neuroforamen zu neurologischen Syndromen wie der Claudicatio intermittens lumbalis spinalis und sensomotorischen Radikulärsyndromen. Was die optimale operative Therapie ist – eine alleinige Dekompression oder eine zusätzlich instrumentierte Fusion – bleibt allerdings weiterhin ungeklärt.

Dieser Forschungsfrage folgend wurde kürzlich die Nordsten-DS Studie im British Medical Journal veröffentlicht. Die Studiengruppe hat eine randomisierte, multizentrische, prospektive Untersuchung mit fünfjährigem Follow-up von insgesamt 267 Patienten publiziert. Die vorgelegten statistischen Methoden, Patientencharakterisierung, Messung des operativen Erfolgs und das robuste Studiendesign klingen vielversprechend. Zusammenfassend konkludieren die Autoren, dass bei den meisten Patienten mit degenerativer Spondylolisthese eine Fusion überflüssig erscheint.

Dennoch fällt der Erkenntnisgewinn vor dem Hintergrund dieses heterogenen Patientenkollektivs gering aus, da selbst diese hoch publizierte Studie – wie jede wissenschaftliche Arbeit – gewisse Schwächen aufweist.

Dies betrifft vor allem die Einschlusskriterien und Klassifikation der Studienteilnehmer. Es wurden ausschließlich Patienten eingeschlossen, welche primär eine Claudicatio intermittens spinalis lumbalis oder ein radikuläres Syndrom aufwiesen. Das mag auf die Mehrheit der Patienten mit symptomatischer degenerativer Spondylolisthese zutreffen, jedoch sicherlich nicht auf alle. Der großen Gruppe derer, welche sich mit chronischen lumbalen Rückenschmerzen vorstellen, wird dieser Ansatz nicht gerecht.

Weiterhin wiesen lediglich 20% der eingeschlossenen Studienteilnehmer eine segmentale Instabilität in dynamischen Röntgenaufnahmen auf. Aufgrund dieser geringen Anzahl ist eine aussagekräftige Subgruppenanalyse nicht möglich. Sind es aber nicht genau die Patienten, die eventuell doch von einer Fusion profitieren würden? [2] Ebenso irritierend ist die Angabe des Ausmaßes des Wirbelgleitens. Statt einer gängigen Einteilung wie der Meyerding-Klassifikation verwenden die Autoren ausschließlich das absolute Gleitmaß in Millimetern, ohne dies in Relation zur Größe des Wirbelkörpers zu setzen. Dies erschwert die Einschätzung, ob es sich bei den eingeschlossenen Studienteilnehmern um milde oder schwere Spondylolisthesen handelt. Aus dem angegebenen Durchschnittswert von rund 7 mm ist zu vermuten, dass überwiegend leichtere Gleitgrade vorlagen. Nun stelle man sich eine geringgradige, in den Funktionsaufnahmen stabile segmentale Spondylolisthese mit ca. 7mm Versatz vor. Der Patient berichtet von einer Claudicatio intermittens spinalis lumbalis und das MRT bestätigt die vermutete Spinalkanalstenose. Diesen Patienten würden wir und vermutlich die allermeisten Wirbelsäulenchirurgen keiner Fusion unterziehen, zumindest nicht primär.

Zusammenfassend untermauert die Nordsten-DS-Studie also vor allem bereits Bekanntes: Eine alleinige Dekompression ist bei Patienten mit geringgradiger Spondylolisthese ohne wesentliche Instabilität erfolgreich [3] [4].

Das Forschungsdesiderat, keine belastbaren Kriterien zu haben, um diejenigen Patienten zu identifizieren, welche von einer Fusion profitieren würden, bleibt leider bestehen. Somit gibt es bei einem großen Teil des Patientenkollektivs leider weiterhin keine belastbare Evidenz für die Therapieentscheidung, sodass es weiterhin individualisierte Behandlungspläne benötigt. Weitere multizentrische und prospektive Studien, welche der Heterogenität des Patientenkollektives gerecht werden, sind somit dringend nötig, um belastbare Prädiktoren für den Erfolg der jeweiligen Operationsverfahren zu identifizieren. Der Einsatz von KI-gestützten Analysen in großen, multizentrischen Datensätzen könnte zusätzlich zur Identifikation potenziell noch unbekannter Prädiktoren und Verbesserung personalisierter Therapieentscheidungen beitragen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. April 2025

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  • Literatur

  • 1 Strube P, Putzier M, Siewe J. et al. To fuse or not to fuse: a survey among members of the German Spine Society (DWG) regarding lumbar degenerative spondylolisthesis and spinal stenosis. Arch Orthop Trauma Surg 2019; 139: 613-621
  • 2 Schonnagel L, Caffard T, Zhu J. et al. Decision-making Algorithm for the Surgical Treatment of Degenerative Lumbar Spondylolisthesis of L4/L5. Spine (Phila Pa 1976) 2024; 49: 261-268
  • 3 Gadjradj PS, Basilious M, Goldberg JL. et al. Decompression alone versus decompression with fusion in patients with lumbar spinal stenosis with degenerative spondylolisthesis: a systematic review and meta-analysis. Eur Spine J 2023; 32: 1054-1067
  • 4 Forsth P, Olafsson G, Carlsson T. et al. A Randomized, Controlled Trial of Fusion Surgery for Lumbar Spinal Stenosis. N Engl J Med 2016; 374: 1413-1423