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DOI: 10.1055/a-2476-6986
Lily King: Euphoria


Dieses Buch ist nicht neu. Es lohnt sich jedoch, es neu zu lesen. Warum?
Inspiriert vom Leben Margret Meads, handelt Euphoria von einer Dreiecksgeschichte: Drei Anthropologen, zwei Männer und eine Frau, treffen sich zufällig an einem Weihnachten Anfang der 1930er-Jahre im Südpazifik. Das Ehepaar kommt mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Einschätzungen von der letzten Feldforschung bei einem Stamm Papua-Neuguineas zurück und ist eigentlich auf dem Weg nach Australien. Der Dritte im späteren Bunde, dem Ehemann bekannt und sich im beruflichen Wettbewerb befindend, erlebt neben anderen Gefühlszuständen vorzugsweise Einsamkeit und Selbstzweifel in seiner Arbeit und bemüht sich um Kontakt, Gesellschaft und Austausch – mit Menschen ihm gewohnter Herkunftskontexte. Sein Bemühen um das Paar ist erfolgreich: Sie bleiben in der Region, und nach sozialphobisch anmutender Zurückhaltung von einigen Wochen wird er zum westlich-weißen Dauerbesucher der beiden, mit wachsender Zuneigung zu seiner weiblichen Kollegin und ebenso wachsender Konkurrenz zu deren nach Entdeckerruhm suchenden Ehemann.
Die Rollenstereotype (der männliche Forscher befasst sich mit dem männlichen Teil des „Forschungsgegenstandes“ und die weibliche Forscherin befasst sich mit den Kindern und Frauen des Stammes) in der Arbeit finden in der Beziehung der drei handelnden Personen ihre Entsprechung. Gleichermaßen gerät der „Forschungsgegenstand“ immer wieder in den Hintergrund der Geschichte oder tritt primär im Kontext der Konflikte der „hinzugekommenen Weißen“ in Erscheinung. Bezogen auf die heutige reale geopolitische Situation erinnert dies daran, dass die Problematiken des sogenannten „globalen Südens“ oft ebenfalls in der Betrachtung der westlichen Gesellschaften in deren Konflikten untereinander zutage treten: „Wer tut was mit wem und wer erhofft, etwas davon zu haben?“.
Aktuell wird immer wieder über die Rechtmäßigkeit der Aufbewahrung zeremonieller Gegenstände indigener Völker in westlichen Museen diskutiert. Auch das Eindringen westlicher Forschender in die Kulturwelt noch weitgehend mit dieser Welt unverbundener Gesellschaften in den vergangenen Jahrhunderten wird inzwischen erheblich kritischer gesehen als offenbar damals. Euphoria stellt hierzu besondere Assoziationen und Bedeutungszusammenhänge her, die nachdenklich machen und bewegen. Der thematische Bezug, den die Autorin zu den auch für die Psychotherapieforschung bedeutenden Protagonisten Margret Mead und Gregory Bateson herstellt, ergänzt diese noch um Aspekte von Forschungsethik und narzisstisch motivierter Suche um die Einzigartigkeit „Erstbeschreibender“. Diese finden sich bekanntermaßen auch heutzutage durchaus in Gruppen von Forschenden, die um Erstautorenschaften in Konflikte geraten.
Letztlich handelt Euphoria von Verbundenheit und Abgrenzung, von Zugehörigkeit und Außenseitererleben, von Erfolg und Niederlage im Kontext sehr unterschiedlicher kultureller Erfahrungen und Wertungen – aktueller als es nicht sein könnte, nachdenklicher und eindrücklicher als es eine zunächst vergleichsweise konventionell daherkommende Dreiecksgeschichte vermuten ließe.
Bettina Wilms, Querfurt
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
24. November 2025
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Georg Thieme Verlag KG
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