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DOI: 10.1055/a-2290-5752
Kommentar

Kommentar zum Artikel von R. Kralj et al.: Flektierte Position des Handgelenks in Gips verhindert zuverlässig Verschiebungen bei Salter-Harris-I- und II-Frakturen

Commentary on the Article of R. Kralj et al.: Flexed position of the wrist in the cast reliably prevents displacement after physeal Salter-Harris I and II distal radius fractures
Kristofer Wintges
1   Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
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Die Arbeit „Gipsruhigstellung in Handgelenksbeugung verhindert zuverlässig die Dislokation bei Salter-Harris-I- und -II-Frakturen des distalen Radius“ stellt einen neuen und vielversprechenden Ansatz zur konservativen Behandlung von distalen Unterarmfrakturen im Kindesalter dar.

Die Studie zeigt, dass der „Schedegips“, der in der Leitlinie zur distalen Radiusfraktur weiterhin nicht empfohlen wird, eine gute und sichere Therapieoption ohne große Risiken, insbesondere im Hinblick auf Kompartmentsyndrome oder CRPS, zumindest im Kindes- und Jugendalter darstellt.

Ähnliche Ergebnisse wurden bereits in mehreren prospektiven Studien an Erwachsenen gezeigt, wobei in diesen Arbeiten der Flexionswinkel nie angegeben wird und vermutlich nicht über 45 Grad liegt (siehe z. B. Raittio et al., 2020: Two casting methods compared in patients with Colles’ fracture: A pragmatic, randomized controlled trial).

Die gewonnenen Ergebnisse decken sich auch mit ähnlichen Ergebnissen aus der eigenen Arbeitsgruppe. Daher kann dieses Verfahren, insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Betten- und OP-Kapazitätsnot sowie der zunehmenden Ambulantisierung dieser Fraktur, nur unterstützend empfohlen werden. Die Frakturen können sogar bei nur geringer Dislokation in der Notaufnahme in Analgosedierung durch den Assistenzarzt reponiert und eingegipst werden.

Die sekundäre Dislokationsrate in der Studie kann jedoch nicht allein durch den Flexionswinkel des Gipses von < 45 Grad bedingt sein, da in dieser Gruppe lediglich 28% der Frakturen eine sekundäre Dislokation aufwiesen. Daher sollte bei der Verwendung einer konservativen Gipstherapie weiterhin der Drei-Punkt-Index sowie der Cast-Index bestimmt werden, um diese Faktoren als mögliche Ursachen einer sekundären Dislokation auszuschließen. Siehe hierzu auch Subasi et al., 2022: Cast revision is effective for critical three-point index values in paediatric forearm fractures: a prospective study, sowie Schipper et al., 2019: Risk factors for fracture redisplacement after reduction and cast immobilization of displaced distal radius fractures in children: a meta-analysis.

Des Weiteren ist es schwierig zu sagen, dass jede Salter-Harris-I- und -II-Fraktur mit dieser Methode konservativ behandelt werden kann. Wenn die Patienten schon eine Reposition unter Narkose erhalten und sich dabei eine instabile Fraktur zeigt, sollte meiner Meinung nach immer eine zusätzliche K-Draht-Osteosynthese durchgeführt werden, um eine sekundäre Dislokation zu vermeiden. Dies wird aber in der Arbeit nicht thematisiert, bzw. wurden vielleicht nur gering dislozierte Epiphysenfrakturen/-lösungen - wie in Abbildung 1 gezeigt – mit dieser Methode behandelt. Dann kann bei unverletztem dorsalen Periost dieses Verfahren sicherlich auch ohne eine zusätzliche K-Drahtosteosynthese durchgeführt werden. Darauf müsste aber dann zumindest in der Diskussion kritisch hingewiesen werden.

Den Verzicht einer zusätzlichen K-Drahtosteosynthese allein mit einer monozentrischen Studie mit einer Infektionsrate von 35% [22] zu begründen, ist fragwürdig. Zumal die Abbildungen in der Arbeit auf eine fehlerhafte Technik hindeutet. Normalerweise liegt die Infektionsrate bei perkutaner K-Drahtosteosynthese nicht höher als bei 1–2% (siehe auch Schneidmüller et al., 2022: To Bury or Not to Bury—Kirschner Wire Fixation in Children). Daher kann der Verzicht auf eine zusätzliche K-Drahtosteosynthese anhand dieser Studie nicht schlüssig begründet werden.

Ziel sollte es nun sein, mit den erhobenen Daten eine prospektive, multizentrische Studie zu konzipieren, um die Ergebnisse der retrospektiven Studie zu validieren und weiter zu untermauern.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
30. April 2024

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