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DOI: 10.1055/a-2233-4251
Kopfschmerz News der DMKG

Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit bei einem Teil der Migränepatienten auch interiktal vorhanden
**** Pizer JH, Aita SL, Myers MA, et al. Neuropsychological Function in Migraine Headaches: An Expanded Comprehensive Multidomain Meta-Analysis. Neurology 2024; 102(4): e208109. doi: 10.1212/WNL.0000000000208109
Hintergrund
Vorübergehende Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit im Rahmen der Prodromal- und Schmerzphase tragen zur Beeinträchtigung von Migränepatienten bei [1]. Auch interiktal sind potenzielle Einschränkungen von praktischer klinischer Relevanz für die Behandlungsplanung und -indikation sowie für die Frage der generellen Beeinträchtigung durch Migräne auch im sozialrechtlich-gutachterlichen Kontext. Die Datenlage hinsichtlich interiktalen kognitiven Beeinträchtigungen ist jedoch inkonsistent und die meisten Übersichtsarbeiten zum Thema liegen in Form systematischer oder narrativer Reviews vor.
Zusammenfassung
Für die Metaanalyse wurden mittels „Random-Effects“-Modell die Daten aus 58 Studien (Persons with migraine (PwM) n = 5452, Healthy Controls (HC) n = 16647; 612 Effektgrößen) über verschiedene kognitive Funktionen untersucht und Effektgrößen (Hedges´ g) bestimmt, wobei bedingt durch die Heterogenität (Cochran´s Q, I²) im Anschluss Subgruppenanalysen durchgeführt wurden. Die Omnibus-Metaanalyse zeigte zunächst eine geringere kognitive Gesamtleistung bei PmM im Vergleich zu HC (g = –0,37; 95 % CI –0,47 bis –0,28; p < 0,001) bei allerdings hoher Heterogenität zwischen den Studien (Q = 311,25, I² = 81,69). Unterschiede waren auch hinsichtlich bestimmter Funktionsbereiche zu beobachten: Kog. Screening (g = −0,46, p < 0,001) exekutive Funktionen (g = −0,45, p < 0,001), Verarbeitungsgeschwindigkeit (g = −0,42, p < 0,001), visuell-räumliche Fähigkeiten (g = −0,39, p = 0,006), einfache/komplexe Aufmerksamkeit (g = −0,38, p < 0,001), Lernen/Gedächtnis (g = −0,25, p < 0,001) und Sprache (g = −0,24, p < 0,001). Keine signifikanten Unterschiede wurden in den Bereichen Orientierung, motorische Fähigkeiten und Intelligenz gefunden. Subgruppenanalysen ergaben Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit über die Funktionsbereiche hinweg in Abhängigkeit vom Aura-Status (Qb = 6,63, p = 0,010) insofern, als Patienten ohne Aura (–0,37 SD-Einheiten; p < 0,001) im Vergleich zu Kontrollprobanden schlechter abschnitten als Patienten mit Aura (–0,10 SD-Einheiten; p = 0,205). Subgruppenanalysen innerhalb der Funktionsbereiche für den Aura-Status erreichten jedoch keine Signifikanz. In verschiedenen Bereichen sowie insgesamt erzielten klinische Stichproben (g = –0,47 M p < 0,001) im Gegensatz zu Bevölkerungsstichproben (g = 0,003; p = 0,922) größere Effekte, wo lediglich signifikante Unterschiede bei den exekutiven Funktionen festgestellt werden konnten (g = –0,11; p < 0,001).
Kommentar
Stärke und limitierender Faktor der Arbeit ist die gleichzeitige Betrachtung verschiedener kognitiver Funktionsbereiche. Zur Interpretation der Ergebnisse ist die bereits im Forest-Plot ersichtliche beträchtliche Heterogenität der Studienlage entscheidend, die auf mehrere Ergebnisse für unterschiedliche Kollektive hinweist. Entsprechend ergaben Subgruppenanalysen keine signifikanten Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit zwischen PwM und HC für Bevölkerungsstichproben. Nur in klinischen Stichproben (spez. Zentren) zeigten sich vor allem in den Funktionsbereichen exekutive Funktionen, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Leistung in Screening-Instrumenten (z. B. MOCA, Mini-Mental) kleine bis mittlere Effekte, die hier aber von praktischer klinischer Relevanz (g ≥ 0,41) sein können. Es ergaben sich weiterhin – ggf. etwas unerwartet – keine Hinweise auf eine höhere kognitive Beeinträchtigung im Zusammenhang mit Aura. Moderatoranalysen zu Medikation waren aufgrund fehlender Daten nicht möglich, Aussagen über Unterschiede zwischen episodischer und chronischer Migräne sind daher ebenfalls leider nicht zu treffen. Aus psychotherapeutischer Sicht ist es schade, dass aufgrund der Stichprobenauswahl (überwiegend Ausschluss psychischer Komorbidität) der Beitrag psychischer Komorbidität auf die kognitive Leistungsfähigkeit bei Migränepatienten nicht abzuschätzen ist.
Anna-Lena Guth, Frankfurt am Main
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
14. Mai 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
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- 5 Kandemir S. et al Auris, nasus, larynx. 2022; 49: 613-617
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