Geburtshilfe Frauenheilkd 2024; 84(02): 114-120
DOI: 10.1055/a-2208-1622
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

Imagepflege mit „linientreuen“ Ausländern (Ehrenmitgliedschaften Teil 4)

Wolfgang Frobenius
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Als sich die seinerzeitige Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) im Oktober 1933 in Berlin zu ihrem ersten Kongress im Nationalsozialismus traf, hatte sich der damalige Vorsitzende Walter Stoeckel[1] bestens mit den neuen Machthabern arrangiert und die „Gleichschaltung“ der Gesellschaft faktisch schon vollzogen. Wunschgemäß grenzte er in seiner von völkischer Diktion geprägten Eröffnungsrede die jüdischen Mitglieder aus, die er als „beklagenswerte Opfer“ einer zur Gesundung des deutschen Volkes notwendigen Härte bezeichnete. Zusätzlich hatte Stoeckel ganz im Sinne der Machthaber eine Sitzung zu den Zwangssterilisationen nach dem im Juli des Jahres verabschiedeten Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) ins Programm aufgenommen. Sie sollte ebenso wie eine thematisch analoge Veranstaltung beim Folgekongress 1935 der wissenschaftlichen Legitimierung dieser Maßnahmen dienen.

Tab. 1 Im Nationalsozialismus ernannte Ehrenmitglieder (1933–1945).

Name

Lebensdaten

letzte Position

Besonderheiten (DGG)

1933 Präsident Walter Stoeckel (1871–1961), Ordinarius in Berlin (I. UFK)

Otto von Franqué

1867–1937

Ordinarius in Bonn

1925–1927 Präsident; langjähriger Kassenwart

Heinrich Füth

1868–1951

Ordinarius in Köln

1923–1925 Vorstandsmitglied

1935 Präsident August Mayer (1876–1968), Ordinarius in Tübingen

Gustav Elis Essen-Möller

1870–1956

Ordinarius an der Universität Lund (Schweden)

Mitglied seit 1905, 1923–1925 Vorstandsmitglied

Heinz Kupferberg

1862–1946

Direktor der Hessischen Hebammenlehranstalt Mainz

1929–1931 Vorstandsmitglied

1937 Präsident Georg August Wagner (1873–1947), Ordinarius in Berlin (Charité)

Emilio Alfieri

1874–1949

Ordinarius in Mailand

George Comyns Berkeley

1865–1947

Senior Gynaecological Surgeon am Middlesex Hospital London

Hermann J. Boldt

1856–1943

Professor für Gynäkologie an der New York Medical School

Mitglied seit 1909

Ernst Gaifami

1883–1944

Ordinarius in Rom

1941 Präsident Hans Fuchs (1873–1942), Direktor der Gaufrauenklinik Posen (heute Poznań)

Ludwig Seitz

1872–1961

Ordinarius in Frankfurt am Main

1929–1931 Präsident

Walter Stoeckel

1871–1961

Ordinarius in Berlin (I. UFK)

1931–1933 Präsident

Georg August Wagner

1873–1947

Ordinarius in Berlin (Charité)

1935–1937 Präsident

Paul Diepgen

1878–1966

Ordinarius für Medizingeschichte in Mainz

1944 (außerhalb der Kongressroutine) Präsident Rudolf Jaschke (1881–1963), Ordinarius in Gießen

Victor Cónill Montobbio

1886–1970

Ordinarius in Barcelona

Mitglied seit 1911, 1941–1949 im Vorstand

Diese Politisierung der DGG wurde von den meisten Mitgliedern, wenn nicht zustimmend, so doch weitgehend schweigend zur Kenntnis genommen. Zumindest ein Teil der Ausländer unter ihnen äußerte aber auch Unbehagen. Zwei Schweizer kehrten der DGG deshalb explizit „aus Protest gegen unsere Gleichschaltung“ bzw. mit Hinweis auf die eigene „weltanschauliche Haltung“ den Rücken. Damit teilte sich dem Vorstand unmissverständlich mit, dass hier für das Ansehen der Gesellschaft und die gewünschte Internationalität Gefahren lauerten.

August Mayer, der als Präsident den Kongress von 1935 ausrichtete, sprach deshalb entsprechende Warnungen aus und hatte bei seinen Kongressvorbereitungen stets mögliche negative Auswirkungen der Programmgestaltung auf „das Ausland“ im Auge. Außerdem wurde in der Folge u. a. der erweiterte Vorstand auf bis zu 11 Mitglieder vergrößert, um „das Ausland auch genügend berücksichtigen zu können.“ Kriterien für die Berufung in das Gremium waren „politische Zuverlässigkeit“ und Übereinstimmung in Leitfragen der Erbgesundheitspolitik [1].



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Article published online:
08 February 2024

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