Nephrologie aktuell 2024; 28(02): 54
DOI: 10.1055/a-2192-4339
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Renale Anämie: „back to the roots“

Patrick Biggar
1   Kulmbach
,
Thilo Krüger
2   Geilenkirchen
,
Steffen Mitzner
3   Rostock
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Dr. med. Patrick Biggar, Kulmbach
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PD Dr. med. Thilo Krüger, Geilenkirchen
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Prof. Dr. med. Steffen Mitzner, Rostock

Bis Ende der 1980er-Jahre bedeutete die Korrektur einer renalen Anämie fast zwangsläufig eine oder mehrere Bluttransfusionen, deren Wirkung, bedingt durch den Abbau der Erythrozyten, allenfalls nur wenige Wochen anhielt. Trotz Verbesserungen in der Labordiagnostik von erkennbaren Übertragungskrankheiten war und bleibt eine Bluttransfusion ein infektiöses Risiko für den Patienten. Versuche, eine renale Anämie mit z. B. Androgenen zu behandeln, blieben eine Ausnahme. Später rieten die Fachgesellschaften aufgrund der mit der unübersehbaren Virilisierung einhergehenden Veränderungen im Körper eindeutig hiervon ab.

Nachdem in den 1990er-Jahren zunächst die Verabreichung von humanem rekombinantem Erythropoetin (rhuEPO) zur Beherrschung der renalen Anämie und deren klinischen Auswirkungen im Vordergrund stand, gewann die Eisensubstitution ab ca. dem Jahr 2000 an Bedeutung. Mit einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) gehen mannigfaltige Labor- und auch funktionelle Veränderungen der Physiologie sowie der Pathophysiologie einher. Die ursprünglichen Vorstellungen, die Normalwerte der nierengesunden Bevölkerung anzustreben, erwiesen sich als Fallstricke mit zum Teil verheerenden Nebenwirkungen für die Patienten. Aber immerhin konnte klar gezeigt werden, dass eine höhere Eisendosis bei CKD nicht nachteilig ist, sondern mittels des ubiquitär benötigten Eisenstoffwechsels sogar für mehrere wichtige Organsysteme funktionelle und prognostische Vorteile ermöglicht.

Mit dem kürzlichen Einzug der Stabilisatoren des Hypoxie induzierbaren Faktors (HIF) in Europa wird die Diskussion über die optimale Behandlung der renalen Anämie reaktiviert. Auch die Anwendung dieser Substanzklasse bedarf einer kritischen Bestandsaufnahme.

Es ist uns gelungen, anerkannte Spezialisten zu diesem Thema zu gewinnen. Die Schwerpunktartikel in dieser Ausgabe der „Nephrologie aktuell“ sind kritisch patienten- sowie praxisorientiert, wobei die Grenzen unseres aktuellen Wissens schnell erkennbar werden. Dr. Stephanie Naas, Prof. Dr. Johannes Schödel und Dr. Steffen Gampp, Universität Erlangen, geben Empfehlungen zur Erythropoetintherapie. Prof. Dr. Christian Rosenberger, Charité Berlin, gibt einen Überblick nicht nur über die Eisentherapie, sondern auch über die Validität der Eisendiagnostik. Prof. Dr. Frank Strutz, DKD Wiesbaden, geht auf den aktuellen Stand der HIF-Stabilisatoren ein. Neben der anhaltenden Ungewissheit bezüglich der optimalen Höhe des Hämoglobinspiegels und der Unzulänglichkeiten unserer Möglichkeiten, eine tatsächlich ausreichende Eisenversorgung des Körpers bei CKD festzustellen, wird uns angesichts der Arbeit von Claudia Hartmann et al., Charité Berlin, zur Messbarkeit der Lebensqualität klar, dass wir gerade das, was für die Patienten im Alltag besonders wichtig ist, bislang allenfalls nur rudimentär berücksichtigt haben.

Die Einführung neuerer Therapieoptionen der CKD-assoziierten Anämie hat offengelegt, dass wir mehr als 30 Jahre nach Einführung des rhuEPOs mehr Grundlagenforschung brauchen, um die zukünftige Anämietherapie maßgeschneidert an den Patienten anpassen zu können.



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Article published online:
21 March 2024

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