Z Sex Forsch 2024; 37(01): 5-15
DOI: 10.1055/a-2174-7711
Orginalarbeit

Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie in der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung

Discrimination against Children and Adolescents with Gender Incongruence or Gender Dysphoria in Medical and Mental Health Care

Authors

  • Maximiliane Hädicke

    1   Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen
  • Manuel Föcker

    2   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, Universitätsklinikum Münster
  • Georg Romer

    2   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, Universitätsklinikum Münster
  • Claudia Wiesemann

    1   Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen
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Zusammenfassung

Einleitung Schutz vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht. Dennoch belegen empirische Studien, dass bestimmte soziale Gruppen, etwa trans Personen, Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren. Wie kann es dazu kommen?

Forschungsziele Wir haben am Beispiel der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz/Geschlechtsdysphorie (GI/GD) untersucht, vor welchen spezifischen Herausforderungen Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen stehen, was sie unter Diskriminierung verstehen und wie sie mit den Minderjährigen umgehen.

Methoden Das Projekt folgt methodologisch einem empirisch-ethischen Ansatz. Es wurden 17 leitfadengestützte, qualitative Expert*inneninterviews mit Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen in Deutschland geführt, die professionellen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen mit GI/GD haben oder hatten. Die Interviews wurden mithilfe der thematischen Inhaltsanalyse ausgewertet. Es wurde eine Begriffsmatrix zu „Diskriminierung“ genutzt, um spezifische Diskriminierungsrisiken zu identifizieren. Interessenverbände waren an der Studie beratend beteiligt.

Ergebnisse Die Interviewten sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, wenn sie Minderjährige mit GI/GD psychotherapeutisch oder medizinisch begleiten. Dazu zählen etwa das ethische Spannungsfeld zwischen Fürsorgeverantwortung für Kinder/Jugendliche und Respekt für ihre Behandlungswünsche, das Ringen mit professionellen Organisations-, Behandlungs- und Sprachroutinen sowie technischen Hindernissen. Während einige der Befragten mit hohem Engagement nach Wegen suchen, um diese Herausforderungen zu bewältigen, greifen andere auf destruktive Bewältigungsstrategien wie Victim Blaming zurück.

Schlussfolgerung Die Ergebnisse lassen neue Rückschlüsse auf spezifische Gefahren der Diskriminierung für Kinder und Jugendliche mit GI/GD im Gesundheitswesen zu. Professionell Tätige sind dafür zu sensibilisieren, dass insbesondere professionelle Routinen eigene Diskriminierungsrisiken für ihre minderjährigen Patient*innen mit GI/GD erzeugen. Fortbildungs- und institutionelle Unterstützungsangebote sollten das berücksichtigen. Es ist allerdings auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sozialen und institutionellen Handlungsbedingungen von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen so zu gestalten, dass sie einer diskriminierungssensiblen Gesundheitsversorgung dienlich sind.

Abstract

Introduction Non-discrimination is a human right. Yet empirical studies suggest that certain social groups, such as trans people, experience discrimination in the health care system. Why is that?

Objectives We address this question by focusing on the health care of children and adolescents with gender incongruence / gender dysphoria (GI/GD). We investigate the specific challenges medical and mental health professionals face, how they understand discrimination, and how they interact with the particular client group.

Methods Methodologically, the study follows an empirical-ethical approach. 17 guided, qualitative expert interviews were conducted with medical and mental health professionals who have or have had professional contact with children and adolescents with GI/GD in Germany. They were analyzed according to the rules of thematic content analysis. With the help of a conceptual matrix on discrimination, specific discrimination risks were identified. Advocacy groups were involved in the study in an advisory capacity.

Results The interviewees face numerous challenges when providing therapeutic or medical care to minors with GI/GD. These include the ethical tension between protecting minors and respecting their wishes, having to cope with professional work and language routines, and technical challenges. While some professionals are deeply committed to overcoming these challenges, others resort to inappropriate coping strategies such as victim blaming.

Conclusion Our results provide new insights into the risks of discrimination which children and adolescents with GI/GD face in health care. Professionals must be sensitized to the fact that professional routines in particular pose specific discrimination risks. Educational programs and institutional support services should be tailored to these needs. However, it remains a task for society as a whole to provide a social and institutional context for health care professionals that promotes non-discriminatory health care.



Publication History

Article published online:
24 October 2023

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