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DOI: 10.1055/a-2105-0079
Lorbeeren und andere Ehrungen
Der Lorbeerstrauch (lat. Laurus) verdankt nach der griechischen Mythologie seine besondere Bedeutung dem Vater der Nymphe Daphne, der diese in einen ebensolchen verwandelte. Damit rettete er sie vor den Nachstellungen des Apollo, des Gottes des Lichts, der Klarheit und Schönheit, dessen heftiger Affekt durch einen Racheakt des Eros verursacht worden war. Apollo trug als Ausdruck seiner unglücklichen Liebe und seines Schmerzes fortan einen Kranz aus dessen Zweigen. Der immergrüne Lorbeerkranz wurde damit zum Symbol der Reinigung und der Sühne, der Vollkommenheit und Unsterblichkeit, mithin das Zeichen des Sieges. Lorbeer, Medaillen und Ehrungen gehören bis heute zum vornehmen gesellschaftlichen Standardrepertoire – im Kleinen der Vereine und Fachgesellschaften wie auch im Großen der Staatsbühnen. Diese Auszeichnungen wollen Personen – und manchmal auch Institutionen – auszeichnen, als Vor-Bild hervorheben und gemeinschaftlichen Dank gegenüber dem Laureaten ausdrücken. Wobei Dank auch bisweilen eine geschickte Form der (Weiter-)Verpflichtung sein kann, im Hinblick auf den Geehrten ebenso wie im Hinblick auf die breitere Audienz. Beispiele für solche Auszeichnungen reichen von den überkommenen Lorbeerkränzen und Häuptlingsfedern bis zu den heutigen Medaillen und Verdienstorden, Ehrennadeln, Pokalen, gelben oder rosafarbenen Trikots. Allerdings gibt es auch negative Aus-zeichnungen, vom schützenden Kainsmal des biblischen Brudermörders und von den pflichtigen Klappern der Pestkranken vergangener Zeiten über die „Zitronen“, „sauren Gurken“, „goldenen Aluhüte“ und sonstigen Schmähpreise bis zu den eher informellen sozialen Stigmata unterschiedlichster Art. Eine ebenfalls mögliche vorauseilende, beflissen vorweggenommene Ehrung bleibt in der Regel Monarchien und Diktaturen vorbehalten: Durch Benennung von Plätzen, Straßen und öffentlichen Einrichtungen, durch Bildgebung auf Geldscheinen und Briefmarken und durch das Aufstellen von Statuen zu Ehren der noch lebenden Personen. Posthume Ehrungen sind ebenfalls möglich, wobei hier gerne ein Preis den Namen des (bisweilen sich) die Ehre Gebenden trägt und so zur Botschaft für den Geehrten wird: Als Karls-, Leibniz- oder Nobelpreis, Ehrendoktorwürde einer Universität, Paracelsus-, Johann-Peter-Frank- oder Salomon-Neumann-Medaille. Wurde man übersehen, kann auch durch eine Preis-Stiftung nachgeholfen werden, wie beispielsweise der „Preis der Schwedischen Nationalbank in Wirtschaftswissenschaft in Erinnerung an Alfred Nobel“, der in gleicher Höhe, zeitgleich und im Rahmen der Nobelpreise vergeben wird und unter diesem Namen mitläuft.
Wird durch die Auszeichnung das Werk geehrt oder die Person? Wohl beides – eine Trennung ist im Akt der Auszeichnung auch gar nicht vorgesehen. Vielmehr soll ja gerade eine Person oder Institution für ihr Werk geehrt werden. Gelegentlich gibt es auch Komplikationen, wenn nämlich Ehrungen zu Irrungen werden und Doktorhüte oder Preise wieder aberkannt werden. Die Gründe dafür können im unredlichen Zustandekommen des geehrten Werkes liegen oder aber in bislang unbekannten sonstigen Schattenseiten der geehrten Person – Werk und Person sind bei der Auszeichnung mit der Intention des Vorbildlichen eben nicht zu trennen. So ganz zurücknehmen lässt sich die Auszeichnung allerdings meist gar nicht: Was bleibt, ist das Stigma der zurückgenommenen Auszeichnung als weiter anhaftende, negative Zeichnung. Es sind nicht die fachlichen Irrtümer, die stigmatisieren – Pettenkofers irriges Festhalten an der Miasmentheorie seiner Zeit war kein Fehlverhalten in diesem Sinn und schmälert seine Verdienste nur wenig. Irren ist menschlich und illustriert menschliche und zeitgebundene Grenzen, die für uns alle gelten. Zum Fehlverhalten wird erst die mangelnde Abwendung von einem zwischenzeitlich offensichtlichen Irrtum, die bewusste Missachtung moralischer Regeln und insbesondere auch ein ex post offensichtlicher, andere schädigender Fehltritt – und dessen Ableugnung. Gleichzeitig ist insbesondere in politischen Kontexten auch diese Wahrheit zu beachten: Audacter calumniare, semper aliquid haeret – verleumde nur dreist, irgendetwas bleibt immer hängen, auch bei eingestellten Verfahren. Kompliziert ist dies alles nicht nur für die Preisträger, sondern auch für die den Preis zuerkennende Institution: Aufarbeitung fällt keiner Seite leicht.
Ein Thema auch für das Gesundheitswesen? Wohl ja, sowohl in Hinblick auf ausgezeichnete Arbeiten als auch in Hinblick auf geehrte Personen. Neben den diversen zwischenzeitlich vom Wind der Entrüstung verwehten Doktorhüten und auch Habilitationen wirft noch immer die Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft ihren langen Schatten. Nicht aufgearbeitete Biografien belasten noch posthum Preisträger und die diese Preise verleihenden Institutionen. Während für die allgemeine, in der Krankenversorgung und der Forschung tätige Ärzteschaft vom Nürnberger Ärzteprozess ein historisch gestaltgebender Impuls ausging, der sich in einer Weiterentwicklung der medizinischen Ethik in Forschung und Praxis niederschlug, blieb die Institution des ÖGD zunächst vergleichsweise unbeachtet. Dieser wegen seiner menschlichen Unmittelbarkeit verständliche Fokus auf Forschung und Krankenversorgung und die in ihr Tätigen greift jedoch in der Aufarbeitung zu kurz. Die zum Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts international diskutierten Gedanken der individuellen und insbesondere auch der gruppenbezogenen Eugenik bildeten die fachlichen Bezugspunkte für die Exzesse der Rassenhygiene nationalsozialistischer Prägung. A propos: Die Bezeichnung „Rassenhygiene“ als deutschsprachiges Synonym der Eugenik war bereits 1895 von dem Arzt Alfred Ploetz eingeführt worden. Ploetz selbst hatte eine recht bunte Vita, welche neben seinen Arbeiten zur Rassenhygiene auch die Gründung verschiedener (Geheim-)Organisationen zur Reinhaltung der nordischen Rasse seit Schülerzeiten beinhaltet, seit 1910 die Mitgliedschaft im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, eine Ehrendoktorwürde der Universität München 1930, die Ernennung zum Professor durch Hitler 1936, den Eintritt in die NSDAP 1937 und im gleichen Jahr die Aufnahme in die Leopoldina sowie eine Nominierung für den Friedensnobelpreis – mithin zahlreiche Ehrungen bis zu seinem Tod 1940. Von besonderer Bedeutung in der Umsetzung der rassenhygienischen Konzepte war die 1935 durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1934 vorbereitete Übernahme der kommunalen Kreisärzte in flächendeckend eingerichtete, staatliche und zentral gesteuerte Gesundheitsämter im Deutschen Reich. Dies ermöglichte die Instrumentalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) für die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik [1] [2]. Angesichts der ideologischen Exzesse und staatlich angeordneten Verbrechen zog sich nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur der ÖGD nicht nur von diesen, sondern auch von anderen bevölkerungsmedizinischen praktischen Aufgaben zurück – ebenso wie die Universitäten in der Forschung, mit Folgen für die Aufarbeitung.
Die Nürnberger Ärzteprozesse führten, in Deutschland und weltweit, zu einer Rückbesinnung der ärztlichen Ethik auf das Individuum. Die Verfassung der neuen Bundesrepublik stellte als zentrale Richtschnur jedes staatlichen Handelns im Artikel 1 des Grundgesetzes fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Die Aufarbeitung zu den bevölkerungsmedizinischen Themen in der Zuständigkeit des ÖGD ließ auf sich warten. Das Vereinheitlichungsgesetz von 1934 blieb zunächst in Form von Landesgesetzen bis in die 1980er Jahre und teilweise darüber hinaus in Kraft, eine auch formale juristische Distanzierung von diesem Gesetz und seinen drei Durchführungsverordnungen erfolgte erst 2006 [2]. Innerhalb des ÖGD wurde die Aufarbeitung mit einem fachlich-wissenschaftlichen und auch berufspolitischen Anspruch erst spät, insbesondere durch die Arbeiten des Neuburger Amtsarztes Johannes Donhauser, mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit [3] [4] [5] und nachfolgend durch die Initiativen des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) vorangetrieben [6] [7]. Johannes Donhauser wurde für seine Arbeiten 2018 mit der Johann-Peter-Frank-Medaille des BVÖGD geehrt [8].
Die Bewertung von Schuld und Verantwortung in einem System der Gleichschaltung ist sicherlich schwierig, wobei den „geistigen Brandstiftern“ als Steigbügelhaltern dieser Systeme eine besondere Bedeutung zukommt. „Das Böse ist banal“ (Hannah Arendt [9]) – die Gesetze und Verordnungen zu Meldewesen und Zwangssterilisationen wurden mit der gleichen Druckschwärze gedruckt wie die noch heute wahrgenommenen Aufgaben in der Wasser-, Boden- und Lufthygiene. Von einer pflichtgemäßen flächendeckenden Umsetzung auch der Rassenhygiene ist auszugehen, trotz einiger Nuancierungen in der Stringenz. Können diese Nuancen ex post den einzelnen Amtsärzten/innen zum Vorwurf gemacht werden? Wohl schon – Nuancen können sehr wohl relevante Unterschiede machen und sollten nicht so schnell als banal abgetan werden. Auch ist Mitläufertum, eingebunden in die jeweiligen historischen gesellschaftlichen Kontexte keine Entschuldigung per se, sondern bleibt ein fortlaufend aktuelles Thema und sollte generationenübergreifend Anlass zu kritischer Selbst- und auch gesellschaftlicher Reflexion geben. Dabei gibt es auch viele Übergänge und Schattierungen zwischen initialer und anhaltender geistiger Brandstiftung und Mitläufertum, mit nachfolgenden Karrieren in den staatlichen Hierarchien bis hin zu den hohen und höchsten Beamtenpositionen [10]. Auch wenn Vergehen und Verbrechen kollektiv und flächendeckend waren, verlangt gerade die Auszeichnung in einem Fachgebiet eine besondere Verantwortung des Einzelnen auch im Umgang und in der Auseinandersetzung mit solchem Versagen: Der „Banalität des Bösen“ und den auf diese Weise versteckten Mechanismen von Gouvernementalität, Macht und Missbrauch in staatlichen und sonstigen Strukturen gestern wie heute [11]. Kollektive und individuelle Scham sind verständlich, kollektives und individuelles Schweigen angesichts historisch evidentem Unrecht im gegebenen Zuständigkeitsbereich in den Führungspositionen keine Option – nicht in staatlichen und auch nicht in sonstigen Hierarchien. Doch – ist all dies nicht schon längst Vergangenheit? Hat eine zweite und inzwischen auch schon dritte Generation im 21. Jahrhundert hierzu noch Bezüge und Verantwortung? Um es mit den Worten eines Preisträgers der Johann-Peter-Frank-Medaille auszudrücken: „Wir haben keine Schuld an diesen Untaten, tragen aber eine große Verantwortung dafür, dass dieses unselige Kapitel in der an sich durchaus erfolgreichen Geschichte des ÖGDs niemals mehr unter den Teppich gekehrt wird und dass unsere seit 1949 bestehende rechtsstaatliche Tradition auch künftig keinen Schaden nimmt und der Artikel 1 des Grundgesetzes Beachtung findet“ [8]. Teil dieser Verantwortung ist die anhaltende wissenschaftliche Aufarbeitung, auch in der Diskussion und Erarbeitung einer bevölkerungsmedizinischen Ethik für das Handeln im Dienst der Öffentlichen Gesundheit, wie dies z. B. in der Causa Stralau, auch mit einer Stellungnahme des BVÖGD, geschehen ist (zur Beteiligung Strahlaus an NS-Verbrechen siehe [10]). Umgekehrt gibt es auch vorbildliches Verhalten in dieser schwierigen Zeit, siehe die Biografie des Amtsarztes Franz Vonessen [12].
Wissenschaftliches Arbeiten in einer Vielzahl von Handlungsfeldern ist wieder Gegenstand der vorliegenden Ausgabe: Zu den Auswirkungen des Tragens von Gesichtsmasken zur Prävention von Infektionskrankheiten auf das Befinden und Verhalten von Kindern und Jugendlichen, zu geschlechterbezogenen Aspekten einer akademischen Karriere in der Medizin, zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Deutschland durch ÖGD-Quotenauswahlverfahren, zu den Eliminierungszielen von HIV/HCV unter Drogengebrauchenden in Deutschland, zu versorgungsnahen Daten für Versorgungsanalysen als Teil 3 des DNVF-Manuals, zu regionalen Gesundheitsnetzwerke und ihrer Finanzierung am Beispiel regionaler Demenznetzwerke, zu den psychometrischen Eigenschaften des Qualiskope-A zur Messung der Patientenzufriedenheit mit der ambulant-ärztlichen Behandlung und zu Mixed Methods-Studien in der Versorgungsforschung aus der Perspektive qualitativ Forschender.
Um zum Thema der Auszeichnung zurückzukommen: Was, wenn eine Auszeichnung zum Kainsmal geworden ist oder zu werden droht – besteht noch Hoffnung? Die diversen Denkmalstürze, verräumten Medaillen und verwehten Doktorhüte haben ganz sicher auch ihr Gutes. Sie sind kollektiv wie individuell eben auch ein wichtiger Schritt der Aufarbeitung bzw. können dies sein. Eine womöglich unterbliebene Aufarbeitung sollte zunächst eigene menschliche Schwäche bei den Nicht-Betroffenen in Erinnerung rufen und ein Impuls sein, ggf. Versäumtes mit Ernst und soweit möglich Milde gemeinsam nachzuholen. Eine ernsthafte Distanzierung gegenüber Vergangenheit und eigener Schuld sollte immer mit Respekt entgegengenommen werden. Der Evangelist Lukas, nach der Überlieferung auch Arzt, hat uns das Jesus-Wort mitgegeben: „Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren“ (Lukas 15,7). Um in diesem Sinne von Reue und Umkehr am Ende noch einmal den Anfang aufzugreifen: Der Lorbeerkranz des Apollo war das schuldhafte und schmerzliche Ende einer unglücklichen Liebe – Apollo trug seinen Lorbeerkranz vor allem als Zeichen der Reinigung und Sühne.
Publication History
Article published online:
22 August 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany
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Literatur
- 1 Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Gesundheit vom 14. 8. 2006. BGBl. I Nr. 39 vom 17. 8. 2006; 1869
- 2 Kuhn J, Wildner M, Zapf A. Der Öffentliche Gesundheitsdienst: Standortbestimmung mit hoffnungsvollem Ausblick. Dtsch Arztebl 2012; 109: A-413-A-416
- 3 Donhauser J. Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Gesundheitswesen 2007; 69
- 4 Gostomzyk J. Die Taten offenlegen – den Opfern Namen geben. Gesundheitswesen 2007; 69: S4-S6
- 5 Donhauser J. „Erb- und Rassenpflege“ im Gesundheitsamt: Unterstützung und Ausgrenzung. Gesundheitswesen 2013; 75: 726-729
- 6 Schleiermacher S. Gesundheitssicherung als staatliche Aufgabe. Der öffentliche Gesundheitsdienst im Rahmen „völkischer Staatspolitik“. Gesundheitswesen 2019; 81: 171-175
- 7 Kinas S. Zwangssterilisationen in Thüringen und Württemberg 1933–1945. Gesundheitswesen 2020; 82: 126-131
- 8 Donhauser J. Die Unantastbarkeit individueller Freiheitsrechte: Lehren für den ÖGD aus seiner NS-Vergangenheit – Rede des Johann-Peter-Frank-Preisträgers 2018. Gesundheitswesen 2019; 81: 168-170
- 9 Arendt H. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Von der Autorin durchgesehene und ergänzte deutsche Ausgabe. Piper, München. 1964
- 10 Kreller L, Kuschel F. Vom ‚Volkskörper‘ zum Individuum. Wallstein Verlag; Göttingen: 2022. S. 176 ff
- 11 Foucault M. Die Gouvernementalität. In: Michel Foucault: Analytik der Macht. Suhrkamp; Frankfurt am Main: 2005. S 148-174
- 12 Schmidt K. Das gefährdete Leben. Der Kölner Arzt und Gesundheitspolitiker Franz Vonessen (1892–1970). Greven Verlag; Köln: 2004