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DOI: 10.1055/a-2071-1769
Deutsche Krankenhausreform: Mögliche Konsequenzen für Psychiatrie und Psychotherapie
Germany's hospital reform: possible consequences for psychiatry and psychotherapy
Anlass und Ausgangspunkt der Krankenhausreform in Deutschland ist sein Gesundheitssystem, welches europaweit zu den teuersten gehört (12 % des BIP), aber bezüglich harter Qualitätskriterien, wie z. B. der Höhe der Mortalitätsrate gemessen an den erfolgreich behandelbaren Fällen, nur im Mittelfeld liegt. Wesentliche Gründe für die hohen Kosten sind zu viele Krankenhäuser (ca. 1.730), von denen aber nur 25% alle Notfälle versorgen können [1] [2], d. h. viele Häuser sind zu klein und nicht gut ausgestattet. Darüber hinaus besteht ein Vergütungssystem, welches Kosten für die Aufrechterhaltung der Notfallversorgung nicht ausreichend vergütet, sondern stattdessen die Generierung hoher Fallzahlen von sich finanziell tragenden Interventionen fördert: Das Leistungssystem der Fallpauschalen schafft Fehlanreize. Da Krankenhäuser mehr Geld für Operationen als konservative Behandlungen erhalten, kommen mutmaßlich viele Patienten unnötig unters Messer.
Nach den Vorschlägen der Regierungskommission Krankenhausversorgung sollen Kliniken in Zukunft nach drei neuen Kriterien honoriert werden: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen (Level) und Leistungsgruppen. Neben der fallabhängigen Vergütung nach DRG-Fallpauschalen (60 Prozent) sollen zukünftig für das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik feste Beträge (40 Prozent) fließen [3]. Unter den „Levels“ versteht man drei Versorgungsstufen, die die Vor-Ort-Versorgung, eine regionale Notfallversorgung und eine überregionale Versorgung mit Spezialangeboten beinhalten. Es gibt 128 Leistungsgruppen und Vorhaltekosten bestehend aus einem Vorhaltebudget, regionalen DRGs und einer Investitionsfinanzierung. Fachkrankenhäuser bilden eine eigene Kategorie, die ihren Spezifika aber auch Notwendigkeit für die Versorgungslandschaft Rechnung tragen soll. Die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) zu Krankenhäusern soll durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden (z. B. „Kardiologie“). Behandlungen sollen künftig nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde [3]. Die Reform soll insgesamt dazu führen, dass deutschlandweit eine anreizunabhängigere Versorgungsstruktur geschaffen wird, d. h. dass Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern in Zukunft weniger nach wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt werden, welches eine qualitativ hochwertige Versorgung bei stabilen Kosten garantiert. Die Sorge der wissenschaftlich-medizinischen Fachverbände ist, dass leistungsstarke mittelgroße Krankenhäuser Opfer dieser Reform werden und somit regionale Versorgungsunterschiede noch stärker zum Tragen kommen. Eines der Ziele, mehr Fachpersonal für weniger Kliniken zur Verfügung zu haben, würde damit nicht erfüllt.
Reformvorschläge liegen zurzeit nur für die somatische Medizin, aber nicht für Psychiatrie und Psychotherapie vor. Es ist geplant, ein entsprechendes Konzept im Laufe des Jahres 2023 vorzulegen. Die Schweiz hat aber mit der sogenannten Krankenhaus-Kapazitätsplanung (hospital capacity planning model (HCPM) im Jahre 2022 auch für die Psychiatrie ein Modell vorgelegt [4], das möglicherweise wegweisend in Deutschland sein könnte. Neben den 149 ausgewählten Leistungsgruppen in der Akutversorgung (basierend auf dem Katalog ICD-10-GM und dem Schweizerischen Operations- und Prozedurenkatalog (CHOP-Katalog)) und den 22 in der Rehabilitation gibt es 25 Spitalleistungsgruppen für die Psychiatrie. Die Krankenhäuser müssen sich um diese Leistungsgruppen bewerben, die dann ihr Angebot und somit auch ihre Einnahmemöglichkeiten bestimmen. Dem geht eine Analyse der vorangegangenen und zukünftigen Bedürfnisse für die regionale Gesundheitsversorgung, z. B. über 10 Jahre, voraus und der Erwerb der Leistungsgruppen richtet sich nach der Qualität (allgemein, Dienstleistung, Ausstattung etc.), der ökonomischen Effizienz und dem Versorgungszugang durch den Anbieter [4].
Das für die somatische Medizin in Deutschland oben skizzierte Reformkonzept kann rechtlich derzeit nicht für Psychiatrie und Psychotherapie umgesetzt werden. Mit der Richtlinie über die Ausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal (PPPRL) steht diese vor der Einführung eines Vergütungssystems, welches wegen der zu befürchtenden Regresse bei Nichteinhaltung der Personal-Untergrenzen, die aktuelle psychiatrisch-psychotherapeutische Krankenhauslandschaft ökonomisch gefährdet. Auf jeden Fall muss die Psychiatrie in Überlegungen der Krankenhausreform zeitnah eingebunden werden. So hat die damalige Psychiatrieenquete zu einem Aufbau von bettenführenden Psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern geführt. Eine Veränderung der Struktur von Allgemeinkrankenhäusern wird zwangsläufig auch zu Veränderungen der angeschlossenen psychiatrischen Abteilungen führen, die das Zentrum der regionalen Notfallversorgung von psychisch kranken Menschen ausmachen. Darüber hinaus ergänzen Fachkrankenhäuser das therapeutische Angebot spürbar. So erfordert z. B. eine qualifizierte Weiterbehandlung von Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen eine Entwöhnungsbehandlung, die in der Regel in einer Fachklinik bzw. Universitätsklinik verortet ist.
Da die aktuellen Strukturen aufgrund der schwierigen Personalsituation desaströs enden werden, besteht dringender Bedarf für eine Reform des Krankenhauswesens in Deutschland. Erste Modelle für die somatische Medizin liegen vor, fehlen aber zurzeit noch für Psychiatrie und Psychotherapie. Diese müssen aber die Versorgungsbesonderheiten von Menschen mit psychischen Erkrankungen einbeziehen, damit die seit der Enquete schrittweise verbesserte Versorgungsrealität keinen Schaden erleidet, sondern signifikant verbessert wird.
Publication History
Article published online:
18 July 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany
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Literatur
- 1 OECD Health Statistics 2021 https://www.oecd.org/health/health-data.htm
- 2 Karagiannidis C, Busse R, Augurzky B. Krankenhausreform: Ineffiziente Strukturen überwinden. Dtsch Arztebl 2023; 120: A-506
- 3 https://www.kma-online.de/aktuelles/politik/detail/-48958
- 4 Bleibtreu E, von Ahlen C, Geissler A. Service-, needs-, and quality-based hospital capacity planning - The evolution of a revolution in Switzerland. Health Policy 2022; 126 (12) 1277-1282