NOTARZT 2023; 39(02): 111-112
DOI: 10.1055/a-2023-2463
Leserbrief

Leserbrief: Notfallversorgung in der Krise – was tun?

Kommentar zu den Beiträgen: „Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen“ und „Arzthaftungsrecht im Notarztdienst – kompaktes Wissen für den Einsatz.“
Thomas Jakob
1   Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum OWL der Universität Bielefeld, Campus Klinikum Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
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In ihrem Editorial der Dezemberausgabe des vergangenen Jahres adressieren die Kollegen Bohn und Gnirke die krisenhafte Lage im Rettungsdienst und fokussieren vorrangig auf die präklinische Problematik [1]. In der gleichen Ausgabe erörtert Frank Sarangi am Ende seines Artikels die Möglichkeiten und Grenzen der Krankenhäuser [2].

Die entscheidend wichtige Rolle der stationären Versorger erscheint mir in der aktuellen Diskussion um Probleme der Notfallversorgung unterrepräsentiert.

Die Erörterungen von Frank Sarangi könnten den Eindruck erwecken, ein Krankenhaus bräuchte sich nur bei der Leitstelle als überlastet zu melden und sei dann aus der Notfallversorgung ausgeschieden. Zudem wird von interessierter Seite gerne argumentiert, ein überlastetes Haus sei kein „geeignetes Krankenhaus“.

Unbeachtet bleiben bei dieser Darstellung jedoch die gesetzlichen Regelungen der Länder in Form von Krankenhausgesetzen, welche die an der Notfallversorgung beteiligten Krankenhäuser zur Versorgung von Notfallpatientinnen und -patienten mit Vorrang verpflichten (z. B. § 2 Krankenhausgestaltungsgesetz NRW) [3]. Dies wird auch durch die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zum gestuften Notfallsystem unterstrichen (§ 3, Absatz 2, Satz 2; § 12) [4]. Die Pflicht zur Erstversorgung gilt unabhängig von der Auslastung eines Krankenhauses und kann bei Verletzung straf- und zivilrechtliche Konsequenzen (Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung) nach sich ziehen.

Die Ursachen der Überlastung von Zentralen Notfallaufnahmen (ZNA) sind vielfältig und letztlich das Resultat einer über Jahrzehnte fehlgeleiteten Gesundheitspolitik. Aufgrund betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten werden möglichst auch die letzten verfügbaren Ressourcen belegt, mit der Folge fehlender stationärer Kapazitäten für die Weiterbehandlung von Notfällen und damit des sogenannten „Exit-Blocks“ in den ZNA. Verschärfend wirken ein chronifizierter Personalmangel und unzureichende bauliche Ressourcen.

ZNA verweigern teilweise die Erstversorgung akut vital bedrohter Betroffener. Die Folge: Patientengefährdung und einsatztaktisch problematisch verlängerte Bindungszeiten der Rettungsmittel. Die Folge für den Rettungsdienst und auch die ZNA besteht dann zu oft in konfrontativem Verhalten, um die als subjektiv berechtigt erlebten Interessen durchzusetzen. Viele Einsatzkräfte im Rettungsdienst rücken nicht mehr mit der Sorge aus, die Notlagen zu bewältigen, sondern mit der Befürchtung, die Patientinnen und Patienten nicht unterzubringen. Wir versuchen prähospital, leitliniengerecht die schnellstmögliche stationäre Weiterbehandlung der Betroffenen zu erreichen und verlieren dann viel Zeit an der Schnittstelle zur Krankenhausversorgung.

Eine Lösung der eigentlich seit Jahrzehnten bestehenden und durch die Pandemie höchstens verschärften Problematik kann in der Realisierung folgender Aspekte liegen:

  • Unterstützung und Schaffung leistungsfähiger ZNA.

  • Schaffung finanzieller Anreize für die Notfallversorgung der Krankenhäuser (z. B. ähnlich der Freihaltepauschalen während der Coronapandemie).

  • Optimierung der Aufgabenwahrnehmung der vertragsärztlichen Notdienste, u. U. auch durch Förderung des Konzeptes der Gemeindenotfallsanitäter.

  • Vorsorgeplanungen auf regionaler Ebene zum Vorgehen bei Überlastungssituationen der ZNA in Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst.

Nur Zusammenarbeit der an der Notfallversorgung beteiligten Berufsgruppen und Sektoren kann zu einer Bewältigung der Lage führen.

Denn letztlich ist am allerwichtigsten der Grund für unser Tun, den wir nie aus den Augen verlieren dürfen: das Wohl unserer Patientinnen und Patienten, die uns ihr Leben anvertrauen.

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Publication History

Article published online:
11 April 2023

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