Aktuelle Urol 2023; 54(03): 180-181
DOI: 10.1055/a-2013-6029
Referiert und kommentiert

Kommentar zu Rolle der zytoreduktiven Nephrektomie beim metastasierten Nierenzellkarzinom

Contributor(s):
Gerald Schulz
1   Urologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München, Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
› Author Affiliations

Die Historie der zytoreduktiven Tumornephrektomie (CN) beim metastasierten Nierenzellkarzinom (mRCC) ist interessant: In Zeiten der Zytokintherapie war die CN fester Bestandteil der Behandlungsalgorithmen. Nach Einführung der Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) verlor die CN aufgrund von 2 randomisierten Phase-3-Studien, CARMENA [1] und SURTIME [2], zunehmend an Bedeutung. Die bahnbrechenden Ergebnisse der modernen Immuntherapie (IO) (IO+IO; IO+TKI), welche bspw. ein partielles Ansprechen in 54,1% für die Kombination von Pembrolizumab und Lenvatinib zeigt [3], fordern nun eine Re-Evaluation der CN. Aus diesem Grund ist diese Studie von großem Interesse und reiht sich in eine Reihe weiterer Studien ein, welche innerhalb der letzten 2 Jahre die CN beim mRCC untersucht haben [4] [5].

Stärken der Studie ist der Endpunkt, Gesamtüberleben, sowie genaue Angaben zu den verwendeten Medikamenten. Schwächen sind u.a. die relativ geringe Anzahl an Patienten, welche eine IO-Therapie vor oder nach der CN erhalten haben. Von den 938 Patienten mit einer CN erhielten nur 148 Patienten eine IO-Therapie.

Welche Aussagen für die Behandlung von mRCC-Patienten lassen sich nun aus der Studie ableiten, wie lassen sich die Ergebnisse im Vergleich zu ähnlichen Studien interpretieren?

  1. Die CN scheint einen onkologischen Benefit beim mRCC zu haben. Sowohl die vorliegende Studie als auch andere Studien, welche nur IO-basierte Therapien [5] oder IO- und TKI-Therapien [4] untersuchten, kommen zu dem Ergebnis, dass die Kombination aus CN und Systemtherapie einer ausschließlichen Systemtherapie überlegen ist. Limitierend ist der retrospektive Charakter der 3 Studien. Auch die aktuellste Datenauswertung der kontrovers diskutierten CARMENA-Studie zeigte, dass Patienten mit nur einem Risikofaktor durchaus von einer CN profitieren könnten [1]. Die Datenlage erscheint somit ausreichend, dass die CN nicht generell ausgeschlossen werden sollte. Vielmehr sollten die Studienergebnisse motivieren, bei möglicherweise geeigneten Patienten eine interdisziplinäre Beratung zu initiieren.

  2. Die Selektion, welcher Patient von einer CN profitiert, ist nicht geklärt und bedarf eines erfahrenen, multidisziplinären Teams. Die für den Kliniker entscheidende Frage, welcher Patient am ehesten von einer CN profitiert, lässt sich bisher nicht genau beantworten. Ergebnisse prospektiver Studien für eine CN im modernen IO/TKI oder IO/IO-Setting sind ausstehend. Sowohl die CARMENA-Studie als auch die erst kürzlich veröffentlichte Studie von Bakouny et al. [4] deuten darauf hin, dass v.a. jüngere Patienten, Patienten mit einer ausreichenden Gesamtfitness, keine Gehirn-/Knochen- oder Lebermetastasen und wenigen IMDC-Risikofaktoren für eine CN in Frage kommen. Da bisher nicht genau verstanden wird, welcher immunonkologische Mechanismus durch eine CN initiiert wird, wird eine Auswahl dieser Variablen kaum eine zufriedenstellende Selektion ermöglichen.

  3. Die optimale Sequenzierung der Therapie (CN- Systemtherapie oder Systemtherapie-CN) ist nicht geklärt. Studien untersuchten sowohl die Sequenz CN-Systemtherapie [4], Systemtherapie-CN [5] oder, wie die vorliegende Studie, beide Ansätze vergleichend. Die aktuelle Datenlage erlaubt es nicht zu schlussfolgern, welcher Ansatz überlegen ist. Für eine initiale Systemtherapie spricht, dass rasch-progrediente Patienten nicht einer CN und der assoziierten Morbidität ausgesetzt werden, somit eine Selektion aufgrund des radiologischen Ansprechens erfolgen kann. Auf der anderen Seite zeigten Pignot et al., dass eine vorangehende IO-Therapie die operative Komplexität einer CN deutlich erhöht und anatomische Schichten, a.e. aufgrund immunvermittelter Prozesse, schlechter darstellbar sind [5]. Die vorliegende Studie zeigte keine Unterschiede hinsichtlich des Gesamtüberlebens zwischen den beiden Ansätzen, eine vorangehende Systemtherapie schließt eine CN im weiteren Verlauf also nicht aus.

Prospektive, aktuell rekrutierende Studien wie die NORDIC-SUN-Studie (NCT03977571) oder die PROBE-Studie (NCT04510597) untersuchen die Bedeutung der CN und werden qualitativ hochwertige Daten hierfür liefern.



Publication History

Article published online:
24 May 2023

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  • Literatur

  • 1 Mejean A. et al. Sunitinib Alone or After Nephrectomy for Patients with Metastatic Renal Cell Carcinoma: Is There Still a Role for Cytoreductive Nephrectomy?. Eur Urol 2021; 80: 417-424
  • 2 Bex A. et al. Comparison of Immediate vs Deferred Cytoreductive Nephrectomy in Patients With Synchronous Metastatic Renal Cell Carcinoma Receiving Sunitinib: The SURTIME Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol 2019; 5: 164-170
  • 3 Motzer R. et al. Lenvatinib plus Pembrolizumab or Everolimus for Advanced Renal Cell Carcinoma. N Engl J Med 2021; 384: 1289-1300 DOI: 10.1056/NEJMoa2035716. (PMID: 33616314)
  • 4 Bakouny Z. et al. Upfront Cytoreductive Nephrectomy for Metastatic Renal Cell Carcinoma Treated with Immune Checkpoint Inhibitors or Targeted Therapy: An Observational Study from the International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium. Eur Urol 2022; DOI: 10.1016/j.eururo.2022.10.004. (PMID: 36272943)
  • 5 Pignot G. et al. Oncological Outcomes of Delayed Nephrectomy After Optimal Response to Immune Checkpoint Inhibitors for Metastatic Renal Cell Carcinoma. Eur Urol Oncol 2022; 5: 577-584 DOI: 10.1016/j.euo.2022.07.002. (PMID: 35853818)