Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2022; 29(04): 137
DOI: 10.1055/a-1865-3691
Editorial

Leben in Zeiten medizinischer Krisen

Michael Ramharter
Zoom Image
Prof. Dr. Michael Ramharter

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im dritten Jahr der COVID-19-Pandemie beobachten wir das Bemühen der internationalen Gemeinschaft, zu einer zunehmenden Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens zu finden. Vorschriften für tagesaktuelle Tests sowie Impfnachweise wurden weitgehend gelockert bzw. gänzlich abgeschafft. Internationale Reisen sind wieder möglich, sodass die Reiseindustrie bereits an die Grenzen der Belastbarkeit gelangt ist. Ermöglicht wurde diese „Rückkehr zur Normalität“ – zumindest teilweise – durch die rasche Entwicklung von Diagnostika, Impfstoffen, monoklonalen Antikörpern und antiviralen Medikamenten. Doch bevor die COVID-19-Pandemie als überwunden gelten kann, ist es bereits zu einem neuerlichen Ausbruch – diesmal der Affenpocken gekommen. In noch nie dagewesener Weise sind Risikogruppen vor allem in Europa und den USA betroffen. Wenngleich das medizinische und epidemiologische Risiko der Affenpocken derzeit insgesamt als deutlich geringer als bei COVID-19 einzuschätzen ist, so scheint die Welt durch intensive Vorarbeiten bereits besser gegen diese neue Epidemie gewappnet zu sein: Es gibt bereits klinisch entwickelte Impfstoffe und antivirale Substanzen, die für die Kontrolle dieser Infektion eingesetzt werden können.

Aus den medizinischen Krisen der letzten Jahre scheinen daher wichtige Lehren gezogen worden zu sein: Eine bessere Bereitschaft zur Kontrolle neuer Epidemien ist notwendig, um unser gesellschaftliches Leben, den wirtschaftlichen Wohlstand und individuelle Freiheiten aufrechterhalten zu können. In diesem Sinne hat die Coalition for Epidemic Preparedness Innovation das ehrgeizige Ziel formuliert, bei Ausbruch neuer Epidemien innerhalb von 100 Tagen einen effizienten Impfstoff entwickeln zu können, um zukünftige Gesundheitskrisen rasch beherrschen zu können.

Neben diesen viel beachteten internationalen Anstrengungen sind aber auch langfristige akademische Partnerschaften zwischen Institutionen des Nordens und des globalen Südens im Bereich der Tropenmedizin entscheidend für die rasche Identifikation und Kontrolle von Epidemien. Beispielhaft wurde in Projekten des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin mit westafrikanischen Partnerinstitutionen neue Ausbrüche von Ebolavirusinfektionen sowie Marburg-Virus-Infektionen entdeckt. Durch langfristige Investitionen in den Aufbau von Infrastrukturen für die klinische Forschung an den Partnerinstitutionen können so rasch neue Medikamente und Impfstoffe evaluiert werden.

Trotz aller medizinischer und gesellschaftlicher Herausforderungen der anscheinend immer rascher auftretenden Epidemien besteht daher insgesamt auch ein wenig Grund zu Optimismus, dass aus dem Leben mit den Gesundheitskrisen der letzten Jahre auch Lehren gezogen wurden, um die Weltgemeinschaft insgesamt resilienter für die Zukunft zu machen.



Publication History

Article published online:
11 August 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany