Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2022; 29(03): 131
DOI: 10.1055/a-1814-7564
Gesellschaft
DGMM

Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin e. V.

Marcus Oldenburg

Liebe Mitglieder der DGMM,

die aktuelle Situation in der Schifffahrt wird durch die Nachrichten vom russisch-ukrainischen Krieg und deren Auswirkungen auf die Seeleute überschattet. Dieser Krieg hat tiefgreifende humanitäre, politische und wirtschaftliche Konsequenzen. Eine aktuelle Befragung der Deutschen Seemannsmission von mehr als 570 Seeleuten ergab, dass über 50 % der Befragten gegenwärtig keine Möglichkeit hatten, ihr Schiff im Hafen zu verlassen. Die Sozialpartner der deutschen Seeschifffahrt bemühen sich derzeit insbesondere um eine humanitäre Unterstützung der Seeleute. Als besonders zentrale Probleme kristallisieren sich für ukrainische und russische Seeleute die Repatriierung und die Kommunikation der Seeleute mit ihren Familien zu Hause heraus. Besonders betroffen sind Besatzungen von Seeschiffen, die im Schwarzen Meer eingeschlossen sind und die Bedrohungen des Krieges hautnah erleben.

Gemäß Verband Deutscher Reeder (VDR) leisten rund 3000 Seeleute aus Russland und 2000 aus der Ukraine ihren Dienst an Bord von Schiffen deutscher Reeder; sie sind Teil der heutzutage üblichen multinationalen Schiffsbesatzungen. Nach Angaben des VDR scheinen an Bord bislang keine größeren Auseinandersetzungen zwischen russischen und ukrainischen Seeleuten aufgrund des Krieges aufgetreten zu sein. Mitarbeitende des Seemannsclubs „Duckdalben“ beobachteten sogar, dass sich mehrere russische Kapitäne wiederholt solidarisch mit ukrainischen Seeleuten gezeigt und ihr Unverständnis über den Krieg in der Ukraine artikuliert hätten. Um in dieser schwierigen Konstellation, dass ukrainische und russische Seeleute an Bord monatelang vertrauensvoll eng zusammenarbeiten müssen, Unterstützung zu leisten, hat die Deutsche Seemannsmission einen Handlungsleitfaden zum Umgang mit entsprechenden Konflikten entwickelt.

Einige ukrainische Seeleute möchten ihren Dienst an Bord beenden, um in ihrer Heimat gegen russische Truppen zu kämpfen. Andere Seeleute aus der Ukraine streben hingegen eine Verlängerung ihrer Heuerverträge an, u. a. um ihre Familien an Land besser finanziell absichern zu können. Die meisten ukrainischen Seeleute klagen über einen unzureichenden Kontakt zu ihren Familienangehörigen in der Heimat. Daher ist eine Optimierung der Internetverbindungen an Bord und in den Häfen eine wertvolle Unterstützungsmaßnahme in dieser Situation.

Russische Seeleute erfahren wiederholt, dass die Heimreise nach ihrem Dienst an Bord wegen der Sperrung des EU-Luftraums für russische Flugzeuge deutlich erschwert ist. Darüber hinaus erleben sie, dass der Ausschluss mehrerer russischer Banken vom SWIFT-System die Heuerzahlung und das Abheben von Bargeld erheblich verkompliziert.



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Article published online:
21 June 2022

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