Allgemeinmedizin up2date 2022; 3(03): 179
DOI: 10.1055/a-1783-2252
Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

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Wolfgang von Meißner

die Digitalisierung in den Hausarztpraxen schreitet voran. Nachdem wir die teuren und aufwändigen Komponenten der Telematikinfrastruktur jahrelang nur für das sogenannte Stammdatenmanagement nutzen konnten, haben wir jetzt eine erste Anwendung, die aus Arzt- und Patientensicht nützlich sein kann. Zum 1. Juli 2022 wurde die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verpflichtend eingeführt, die digital an die Krankenkasse übermittelt wird. Die Patienten- und Arbeitgeberexemplare drucken wir nun aber auf großem DIN A4 statt auf DIN A5 Papier. In der Folge verbrauchen wir mehr statt weniger Papier. Ab dem 1. Januar 2023 soll dann die Weiterleitung der Daten an den Arbeitgeber durch die Krankenkassen nur noch digital erfolgen. Der Patient erhält weiterhin ein Exemplar auf Papier. Dabei wäre auch hier eine volldigitale Option zumindest denkbar.

Aus der Erfahrung der letzten Jahre wissen wir, dass die Telematikinfrastruktur leider mit vielen Ausfällen und Problemen zu kämpfen hat. Bei der Planung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde daher folgerichtig ein „Ausfallkonzept“ mit implementiert. Ist der digitale Versand bis zum Ende des nachfolgenden Werktags nicht möglich, so muss die Praxis eine Papierbescheinigung an die Krankenkasse versenden. Dafür wurde sogar extra eine mit weniger als einem Euro dotierte Abrechnungsziffer geschaffen.

Ich bin mir sicher, dass die Mehrzahl der Ärztinnen und Ärzte gerne digitaler und vernetzter arbeiten würde. Andere Anwendungen wie Notfalldatenmanagement, elektronische Patientenakte, E-Rezept und E-Medikationsplan haben das Potential, die Versorgung zu verbessern. Leider ist die Umsetzung so schlecht, dass kaum eine Praxis diese Anwendungen sinnvoll und verlässlich nutzen kann. Teilweise sind sie auch nur theoretisch fertig, aber praktisch nicht einsetzbar.

Aktuell ist es leider so, dass die durch die Gematik als nationale Agentur für digitale Medizin zur Verfügung gestellten technischen Komponenten und Programme den Ablauf in den Praxen eher stören als unterstützen. Zudem stammen die Technik und das Design aus dem letzten Jahrtausend; die Konnektoren sind veraltet und müssen nun nach 5 Jahren bereits wieder für viele Millionen Euro ausgetauscht werden. Dieses Geld wird dringend in der Versorgung der Patienten benötigt.

Wenn man hört, dass zukünftig anspruchsvolle ärztliche Leistungen wie Arzneimittelberatungen und Asthmatiker-Schulungen durch Apotheken substituiert werden sollen, fragt man sich, wohin sich das Gesundheitswesen entwickeln soll und wie in Zukunft die hausärztliche Versorgung gestaltet werden soll. Wir müssen dabei zusehen wie das Gesundheitssystem mehr und mehr zu einem Markt umfunktioniert wird, an dem neue Player teilnehmen. Vor allem die Digitalisierung bietet hier viele Risiken und Chancen. Allein der Markt der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) mit den Apps auf Rezept ist dazu in der Lage, viel Geld aus der Versorgung umzuleiten. Dabei ist die Kosten-Nutzen-Rechnung fraglich. Und die Daten aus den Apps müssen interpretiert werden. Dazu müssen sie aber zunächst standardisiert in die Praxisverwaltungssysteme gelangen.

Eines ist und bleibt aber sicher: eine gute Patientenversorgung benötigt gute und strukturierte Fortbildung und den Blick über den Tellerrand. Dazu wird auch diese Ausgabe der Allgemeinmedizin up2date einen Beitrag leisten.
Ihr
Wolfgang C. G. von Meißner



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Article published online:
18 August 2022

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