Z Sex Forsch 2022; 35(01): 54-55
DOI: 10.1055/a-1747-1890
Buchbesprechungen

Addressing the Sexual Rights of Older People. Theory, Policy and Practice

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Catherine Barrett und Sharron Hinchliff, Hrsg. Addressing the Sexual Rights of Older People. Theory, Policy and Practice. Oxon, UK, New York, NY: Routledge 2018. 192 Seiten, GBP 34,99

Die von der World Association for Sexual Health erstmals 1997 publizierte „Erklärung der sexuellen Menschenrechte“ betont, dass Sexualität ein zentraler Aspekt des Menschseins über die gesamte Lebensspanne hinweg ist. Und dass niemand aufgrund des eigenen Lebensalters sexuell diskriminiert werden darf (https://worldsexualhealth.net/resources/declaration-of-sexual-rights/). Vor diesem Hintergrund ist es Ziel des Sammelbandes, kritisch zu analysieren, wie die sexuellen Lebensverhältnisse älterer Menschen aus der Perspektive sexueller Menschenrechte heutzutage einzuschätzen und bei Bedarf zu verbessern sind.

Herausgegeben wird der Band zum einen von Catherine Barrett, die nach Forschungsjahren an der La Trobe University in Melbourne (Australien) jetzt das von ihr im Jahr 2016 gegründete OPAL (Older People and Sexuality) Institute leitet, das sich für sexuelles Empowerment älterer Menschen einsetzt (https://www.opalinstitute.org/). Zu den Schwerpunkten ihrer akademischen und praktischen Arbeit gehören die sexuellen Rechte älterer Menschen aus der LGBTI-Community. Die zweite Herausgeberin, Sharron Hinchliff, ist als Gesundheitspsychologin an der University of Sheffield (Großbritannien) tätig und forscht unter anderem zur sexuellen Gesundheit älterer Menschen (https://sharronhinchliff.com/). Die beiden Herausgeberinnen machen bereits im Vorwort klar, in welchem Spannungsfeld sich Diskurse über die Sexualität im Alter heute bewegen: Einerseits geht es darum, defizitorientierte Altersbilder zu überwinden und Älteren nicht per se sexuelles Interesse und sexuelle Aktivität abzusprechen (Klischeebild der „asexuellen Alten“), sondern ihre Lust zu verstehen und zu unterstützen. Andererseits geht es aber auch darum, keine kontraproduktiven neuen Leistungsnormen zu etablieren, etwa regelmäßigen Sex zum Indikator „gesunden Alterns“ zu erklären oder die „sexuelle Fitness“ zu vermessen und pharmakologisch zu fördern (neue Norm der „sexy Senior*innen“).

Der Sammelband behandelt in zwölf Kapiteln diverse Perspektiven sexuellen Erlebens im Alter: Es geht um die Erfahrungen von Frauen, Männern, trans* und intergeschlechtlichen Personen im höheren Alter, um homo-, bi- und heterosexuelle Erfahrungen. Bezugspunkte der Auseinandersetzung sind Altersstereotype, Geschlechterrollen und Heteronormativität sowie die Überwindung damit einhergehender Einschränkungen. Separat behandelt werden sexuelle Gewalt, Safer Sex, Online-Dating und Viagra. Die Beiträge referieren jeweils den Forschungsstand, nehmen auf einzelne sexuelle Menschenrechte Bezug und enden mit praktischen Verbesserungsvorschlägen. So wird sehr häufig eine bessere Ausbildung von Pflegepersonal gefordert, damit etwa ältere trans* oder intergeschlechtliche Menschen sich auch in körpernahen, intimen Pflegesituationen sicher vor Diskriminierung fühlen können. Es wird darauf hingewiesen, dass sexuelle Gewalt bei älteren Frauen öfter unaufgedeckt bleibt und dass Safer-Sex-Kampagnen bislang Ältere kaum adressieren. Angesichts verbreiteter Altersdiskriminierung wird diskutiert, ob Dating-Plattformen nicht mit Altersangaben flexibler umgehen sollten. Und im Zusammenhang mit Viagra wird problematisiert, ob der Fokus auf Erektionsfähigkeit im Alter möglicherweise einem Wechsel zu mehr nicht-penetrativen heterosexuellen Praktiken entgegensteht, welcher von nicht wenigen Frauen durchaus goutiert wird.

Insgesamt liefert das Buch einen gut lesbaren, für Forschung und Praxis gleichermaßen wichtigen und nützlichen Überblick. Etwas mehr Raum hätten die Sexualitäten von älteren Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen verdient. Ebenso fehlen Beiträge oder zumindest Abschnitte zu sexuellen Hilfsmitteln, Spielzeugen, Pornografien, Sexarbeit, Sextourismus und sexueller Assistenz. Intergenerationale Beziehungen, Polyamorie, Swingen, Kink oder BDSM sind ebenfalls im Index gar nicht vertreten. Diese blinden Flecken fallen umso deutlicher auf, als das Buch nominell ständig die sexuelle Vielfalt betont, letztlich aber doch ein überraschend biederes Bild zeichnet. Dabei sind die Älteren doch längst in allen sexuellen Szenen sichtbar und aktiv – allerdings oft noch unter dem Radar der Alters- und Sexualforschung.

Nicola Döring (Ilmenau)



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Article published online:
08 March 2022

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