Allgemeine Homöopathische Zeitung 2022; 267(03): 41-42
DOI: 10.1055/a-1715-8639
Buchbesprechungen

„Wer andern eine Grube gräbt …“ – eine Filmbesprechung

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Homöopathie unwiderlegt? 2022; Regie: Erik Lemke; 86 min

Den besten Eindruck möge der Leser vom Schluss her gewinnen: Bei der Filmpremiere in Berlin mit anschließender Diskussion mit dem Regisseur Erik Lemke bedankte sich dieser nach der Vorführung beim Publikum, sich seinem Film in einem Kino ohne Möglichkeit des „Wegzappens“ auszusetzen. Ein Zuschauer würdigte den Mut des Regisseurs, diese altmodische Dramaturgie mit langen Interviewszenen mit homöopathischen Ärzt*innen in dieser schnelllebigen Zeit zu wagen.

Der Regisseur hatte offensichtlich folgende Absicht: Aufgrund der widersprüchlichen Sachaussagen, die von ihm geschickt inszeniert waren, wollte er den Zuschauer zu der Überzeugung führen, bis heute gebe es keinen erfolgreichen Wirksamkeitsnachweis in der Homöopathie für irgendeine medizinische Indikation. Dazu waren Ausführungen von Prof. Harald Walach zu dem negativen Ergebnis einer schon älteren Münchner Kopfschmerzstudie zu sehen. Bei seinem letzten Interviewpartner, dem Schweizer Arzt Dr. Heiner Frei, hat der Regisseur entweder unsauber recherchiert oder er ist dem „selection bias“ erlegen, indem er dessen positive doppelblinde, randomisierte Studie zur Homöopathie bei ADHS „übersehen“ hat.

Nachfragen bei den Interviewten haben inzwischen übrigens ergeben, dass die Interviews über mehrere Stunden geführt worden waren, und zwar unter der Zusage des Regisseurs, einen neutralen, objektiven Überblick auch über den Stand der Studienlage zu geben. Über die Integrität eines solchen „Dokumentarfilmers“ möge der Zuschauer selbst urteilen.

Sein erläutertes Kalkül war wohl: Durch seinen „Aufklärungsfilm“ sollten die Zuschauer zu der Einsicht gelangen, dass die Homöopathie eine widersprüchliche, antiquierte Heilmethode darstelle, die in der Heilkunde des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu suchen habe.

Damit ist Lemke meines Erachtens gescheitert. Der Regisseur zu einer Zuschauerin: „Das haben Sie falsch verstanden.“ Meiner Einschätzung nach hat er in seinem Menschen- und Wissenschaftsverständnis die Gesetzmäßigkeiten der nonverbalen Kommunikation nicht einkalkulieren können: dass nämlich nur 7% der Information über die Sachaussage, dagegen 38% über die Stimme und 55% über die Körpersprache (nach Mentzel 2007) vermittelt werden.

Was sich eindrucksvoll, wenngleich wortlos durch den ganzen Film als ärztliche Haltung mitteilt, ist der genuine Wunsch der Interviewten, kranke Menschen auf ihrem Weg zur Gesundung (und nicht Verwaltung von Kranksein!) zu unterstützen. Diesem Narrativ folgend ist es durchaus möglich, die aufgezeigten sachlichen Widersprüche innerhalb der homöopathischen Heilkunde als „Facettenreichtum“ aufzufassen. Auch die geäußerte Selbstkritik zu Schwachstellen (wie z. B. durch Übersetzungen verursachte fehlerhafte Repertoriumseinträge) spricht dann eher für die Reflexionsfähigkeit und den „Wissensdurst“ der Protagonisten. Während des ganzen Filmes erfüllte diese wortlose Empathie kraftvoll von der Großbildleinwand aus den Kinosaal.

In der Diskussion wurde die vorgefasste ablehnende Haltung des Regisseurs mit Rückzug auf die bekannten Strategien der Homöopathie-Skeptiker dann deutlich. Eine Zuschauerin zeigte sich durch dieses „Coming-out“ deutlich irritiert. Eine weitere bemängelte die Suggestivfragen. Es gab auf der anderen Seite auch eine größere Gruppe von „Lemke-Fans“ im Publikum.

Das Schweizer Modell mit Integration der Homöopathie in die medizinische Versorgung wurde von ihm beispielsweise mit der Emotionalität von Volksentscheiden abgetan. Hier offenbarte er deutlich seine Ablehnung gegenüber jeglicher Emotionalität als Rationalist.

Gut, bei den meisten Zuschauern mitzuerleben, dass wir Menschen auch im 21. Jahrhundert weiter ein mit Vernunft begabtes Empfindungswesen bleiben. Traurig, Zeuge dessen zu werden, wie einflussreiche Gruppierungen arglistig unter dem Deckmantel scheinwissenschaftlicher Argumente die Human(!)-Medizin ihrer Menschlichkeit und ihres Einfühlungsvermögens zu berauben versuchen.

Sind wir auf dem Weg zu einer „Medizin ohne Moral“? So jedenfalls nennt der Kassenarzt Dr. Freisleben aus Berlin-Wedding sein aktuelles Buch über den Stand des deutschen Krankheitswesens.

Karin Schick, Praktische Ärztin/Homöopathie – Berlin



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
25. Mai 2022

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