Nervenheilkunde 2022; 41(04): 272
DOI: 10.1055/a-1701-8334
Gesellschaftsnachrichten

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Tom Bschor
,
Anja M. Bauer
,
Hans Gutzmann

Mini-Weiterbildung

Da pandemiebedingt das Angebot an Fort- und Weiterbildung weiterhin reduziert ist, bietet die Berliner Gesellschaft an dieser Stelle in loser Folge Mini-Weiterbildungen an, heute zum Thema:

Demenz: Risiken und Präventionschancen

Psychosoziale Faktoren

Unsere Lebenserwartung steigt. Mit den gewonnenen Jahren steigt auch das Demenzrisiko. Die größte Formbarkeit hat das Gehirn bis zum 20. Lebensjahr. Bildung ist demenzpräventiv. Je früher, desto besser und nachhaltiger. Vielfach wurde ein niedrigeres Demenzrisiko für Menschen bestätigt, die über weite Strecken hohe geistige Regsamkeit und soziale Kontakte pflegen. Wer rastet, der rostet. Jedoch besitzen nur positiv wahrgenommene Kontakte protektive Wirkung. Die Zahl der Bekannten – nicht die der Verwandten – und die Frequenz der Sozialkontakte ist umgekehrt proportional zum Demenzrisiko.


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Somatische Faktoren

Eine geringe physische Leistungsfähigkeit im mittleren Lebensalter steigert das spätere Demenzrisiko um mindestens die Hälfte. Aktiver Freizeitsport senkt das Risiko mit 40 % deutlicher als nur moderate Bewegung. Aktiv sein heißt: An den meisten Tagen der Woche 30 min körperliche Aktivität über die übliche Bewegung hinaus. Und bei Übergewicht 60 min Aktivität an den meisten Tagen – ohne mehr zu essen. Aktivitäten, die mit dem Risiko von Kopfverletzungen verbunden sind, sollten vermieden werden.

Kardiovaskuläre Fitness im mittleren Lebensalter kann die Entwicklung einer Demenz um bis zu 10 Jahre verzögern. Die frühzeitige Behandlung einer Hypertonie ist die einzige gesichert demenzpräventive internistische Intervention. Ältere hörgeminderte Patienten zeigten ein um über 100 % gesteigertes Risiko für eine Demenzentwicklung. Prospektive Studien über 20 und mehr Jahre haben den demenzpräventiven Effekt mit Hörgeräten eindrucksvoll belegt

Tab. 1

Beeinflussbare Demenzrisiken

In den frühen Jahren

7 %

Schule, Erziehung, Freizeit

In den mittleren Jahren

15 %

Hörverlust

8 %

Kopfverletzungen

3 %

Hypertonus

2 %

Alkohol

1 %

Adipositas

1 %

In den späteren Jahren

18 %

Rauchen

5 %

Depression

4 %

Einsamkeit

4 %

Inaktivität

2 %

Luftverschmutzung

2 %

Diabetes

1 %

Diabetes bedeutet ebenso wie eine depressive Störung eine deutliche Risikosteigerung. Für beide trifft zu, dass ihre spezifische Behandlung, so wichtig sie ist, noch nicht als gesichert demenzpräventiv gilt. Dass ein mit dem Alter einhergehender Testosteronmangel bei Männern ein Demenzrisiko darstellt, zeichnet sich ab, ist aber noch nicht gesichert. Ähnliches gilt für die hormonellen Umstellungen in der Menopause. Da Rauchen ein vorzeitiges Ableben befördert, wird seine Bedeutung als Demenzrisiko unterschätzt. Auch Passivrauchen ist ebenso wie Luftverschmutzung ein Risikofaktor. Starker Alkoholkonsum ist einer der wichtigsten veränderbaren Risikofaktoren. Zum Alkohol gesellen sich oft andere Risiken wie etwa Stress, Rauchen und ein ernährungsbedingter Mangel an Thiamin. Weniger als 160 g Alkohol pro Woche mindern das Demenzrisiko.

Ein Body-Mass-Index von mehr als 30 im mittleren Lebensalter steigert später das Risiko einer Demenz, je nach Untersuchung um 30 bis zu 200 %. Konsequente mediterrane Ernährung verlangsamt das biologische Altern und mindert das Risiko. Dabei ist der gesamte Diätplan wichtiger als einzelne Inhaltsstoffe. Die meisten Studien mit Nahrungsergänzungsmitteln wie Antioxidantien, Selen und Vitamin E enttäuschten. Die WHO rät dringend von ihnen ab.


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Für Prävention ist es nie zu spät

Etwa 40 % des Demenzrisikos sind nach der Lancet-Commission (2020) beeinflussbaren Faktoren zuzuordnen! Wir haben also einen großen Anteil des Risikos selbst in der Hand – in jedem Alter.

Prof. Dr. med. Hans Gutzmann, Berlin


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Publication History

Article published online:
04 April 2022

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