MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2021; 25(05): 214
DOI: 10.1055/a-1676-3413
Forum

Antwort auf Leserbrief von Martin Römhild (in Anlehnung an den Blog von Adam Meakins „Manual Therapy Demon Strawmen“) zu: Cook CE. Die Dämonisierung der Manuellen Therapie. MSK 2021; 25: 125–131

Sebastian Löscher

Sehr geehrter Herr Römhild,

vielen Dank für Ihren, an Adam Meakins’ Blog angelehnten, Leserbrief zu Chad Cooks Artikel: „Die Dämonisierung der Manuellen Therapie“ [1].

Inwiefern der Begriff „Dämonisierung“ in diesem Kontext als reißerisch bewertet wird, müssen wir den Leserinnen und Lesern überlassen. Der Begriff wurde bereits in der Vergangenheit in wissenschaftlichen Publikationen verwendet [2], [3], [4] und scheint damit nicht exklusiv für die Sensationspresse reserviert zu sein. Auch Chad Cook begründet in seiner Einleitung, weshalb er dieses Wort in seinem Artikel verwendet.

In Ihrem Brief bringen Sie folgende Kritik an:

„Der Versuch, die Kritik an der Überkomplexität, Überbewertung, Überbeanspruchung und dem allgemeinen Ego und Elitismus rund um die MT als dämonisierend, destruktiv und ungenau zu positionieren, ist m. E. eine klassische Taktik, um abzulenken.“

“Außerdem sind alle sogenannten spezifischen neurophysiologischen schmerzmodulierenden Effekte, die in diesem Artikel der MT zugeschrieben werden, eben nicht auf diese beschränkt, sondern auch durch körperliche Aktivität auslösbar.“

Diese Kritik greift Chad Cook im 4. Punkt seines Artikels selbst auf. Er zeigt, welche Denkmodelle mehrfach widerlegt wurden, und ruft dazu auf, sich von alten dogmatischen Ansätzen zu lösen und evidente Erkenntnisse in die Manuelle Therapie (MT) einzubringen. Er beschreibt, welche physiologischen Theorien zur Wirksamkeit der MT heute nicht mehr haltbar sind, und dass MT eine von mehreren Optionen ist, Schmerzen zu modulieren. Die Punkte, die Sie hier kritisieren, hat also bereits Chad Cook in seinem Artikel bestätigt.

Sie schreiben weiter:

„Weiterhin wird die Kritik an der MT, dass sie ‚ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Patient und Therapeut schafft und zu geringerer Selbstwirksamkeit führt‘, damit abgetan, dass es keine Evidenz für dieses Chronifizierungsrisiko gebe. Es wurde allerdings auch niemals behauptet, dass diese Evidenz vorliegt.“

Chad Cook bezieht sich hier auf ein Blog-Zitat [5]: „But what many don’t understand or recognise are the other adverse issues manual therapy can cause. The first is manual therapy has the potential to create reliance and dependency.“ Im betreffenden Blog wurde bezüglich der Evidenz zu dieser These keine Aussage getroffen, das ist richtig. Jedoch wird mit dieser Aussage eine Hypothese aufgestellt, die so erstmal unbelegt im Raum steht. Fallberichte, die Sie nennen, können zwar eine Quelle sein, sind aber in der Evidenz-Hierarchie sehr niedrig angesehen [6]. Die Frage, die uns als Therapeut(inn)en hier jedoch beschäftigen sollte, ist: Wird eine Abhängigkeit durch die Intervention oder vielmehr durch die Kommunikation und den zugrundeliegenden Erklärungsansatz bzgl. der Intervention geschaffen?

Inakkurate Erklärungsansätze finden sich ebenso in aktiven Therapieansätzen („Man muss die Wirbelsäule stabilisieren, um sie gesund zu halten.“ [7]), und können zu negativen Überzeugungen beitragen [8]. Hier spielen Kommunikation und Erklärungsansätze m. E. daher eine größere Rolle dabei, Abhängigkeit und Selbstwirksamkeit zu beeinflussen, als die Intervention selbst.

Ihren Schlussfolgerungen kann ich soweit zustimmen. Ich vermute, es war auch im Sinne von Chad Cook, aufzuzeigen, dass veraltete Denk- und Erklärungsmodelle abgelegt werden sollten.

Als forschender Experte auf dem Gebiet der MT hat er, wie gefordert, Meinungen hinterfragt und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen belegt. Vor allem aber hat er gezeigt, dass pauschale Antworten nicht dem wissenschaftlichen Gedanken entsprechen.

mit freundlichen Grüßen

Sebastian Löscher im Namen des Herausgeberteams



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
14. Dezember 2021

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