Balint Journal 2021; 22(04): 121-129
DOI: 10.1055/a-1674-6351
Originalarbeit

Michael Balint und Raoul Schindler

Analytische und Dynamische Gruppenarbeit im Vergleich – Eine EinführungMichael Balint and Raoul SchindlerAnalytical and Dynamic Group Work in Comparison – An Introduction
Volkmar Ellmauthaler
1   medpsych.at – Praxis für Angewandte Medizinische Psychologie, psychologische Beratung, (Lehr-) Supervision, Wien
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Zusammenfassung

Zwei prägende Namen und Methoden sind hier in Beziehung gesetzt: Michael BALINT für die psychoanalytische Methode und Raoul SCHINDLER für eine psychoanalytisch-rangdynamische Methode, die „Gruppendynamik“: beide sind besonders geeignet für Training und (Lehr)Supervision. Nach einer kurzen biographischen Darstellung von Michael Balint (1896–1970) und Raoul Schindler (1923–2014) erfolgt ein Vergleich beider Methoden.

Bei der dynamischen Gruppe mit bi- und multifokalen Beziehungsstrukturen haben Gruppen dieser Art sich selbst zum Thema. Interne und externe Beziehungen werden unter den Aspekten der Rangdynamik und der unterschiedlichen emotionalen Sensibilität der Gruppenmitglieder untersucht. Externe „unbeteiligte Beobachter(m/w/i)“ können konstruktive Beiträge für den Reflexionsprozess leisten. Die Expertentrainer(m/w/i) übernehmen gemäß den bekannten Diskretions- und Abstinenzregeln die Funktion von „unbeteiligten Expertenbegleitern“, die zuvor in einem separaten Prozess zusammen mit mindestens einem der Trainer(m/w/i) ihre eigenen Strategien und Interventionen in dem supervisorischen Umfeld reflektieren. Die Idee, Beziehungen zu spiegeln, realisiert sich durch die Anwendung der Methoden und Techniken der klassischen Psychoanalyse in einer Gruppe von Spezialisten – der Balintgruppe. Neu ist die Verwendung einer Gruppe selbst als „Organ“ zur systematischen Darstellung und Reflexion der Außenbeziehungen sowie der Gruppenmitglieder(m/w/i), um dies zu erreichen. Werden die „Problembereiche“ unserer eigenen Verhaltensmuster und die eigene Verwundbarkeit aufgrund von oft vor- oder gänzlich unbewussten Traumata kennengelernt, kann der gesamte Prozess dazu beitragen, sich von problematischen Beziehungen zu befreien oder sie im besten Fall neu zu formen. Abseits therapeutischer Überlegungen ist das ein konstruktiver Weg des Trainings der Selbst- und Beziehungsreflexion sowohl für angehende als auch im Beruf stehende Experten(m/w/i). Die Art der Balint-Gruppenarbeit ist daher im Wesen analytisch, doch nicht primär therapeutisch. Sie folgt dem Prinzip einer analytischen Reflexionsgruppe mit einer verhaltensmodifizierenden Einstellung. Die Teilnehmer(m/w/i) können sich der eigenen, vor- oder unbewussten Beteiligung an einer „schwierigen“ externen Beziehung innerhalb und mithilfe der Expertengruppe bewusst werden. Un- oder vorbewusste libidinöse Bindungen, die Dynamik zwischen einem Experten(m/w/i) und seinen bzw. ihren Patienten kann in einem „stellvertretenden Prozess“ innerhalb einer von Experten geleiteten, standardisierten Gruppe analysiert werden. Die Frage von virtuellen Gruppen (bspw. im Internet) wird reflektiert.

Abstract

Michael BALINT stands for his psychoanalytic method and Raoul SCHINDLER for his psychoanalytic, rank dynamic method, the “group dynamics”, which is suitable for both, the training and (teaching) supervision agenda. After a brief biographical presentation by Michael Balint (1896–1970) and Raoul Schindler (1923–2014), the 2 methods are being compared.

In the dynamic group with bi- and multifocal relationship structures, the fundamentals of the groups of this type use themselves as their topic. Internal and external relationships are examined under the aspects of rank dynamics and the different emotional sensitivities of the group members. External “uninvolved observers” can contribute to the reflection process. In accordance with the well-known “rules for discretion and abstinence”, the expert trainers take on the function of “uninvolved expert guides” who reflect on their own strategies and interventions in a supervisory environment in a separate process. The idea of ​​mirroring relationships is the application of the methods and techniques of classical psychoanalysis in a group of specialists, the Balint group. New is the use of a group itself as an “organ” for the systematic presentation and reflection of external relations of group members in order to achieve the goal. As one gets to know the “problem areas” of the own behavioral patterns and vulnerability that keep pointing to mainly pre- or unconscious traumata, the process mentioned can help to free oneself from problematic relationships or, in the best case, to reshape these in a constructive way. The nature of the Balint group work (or training) is therefore basically analytical, still not primarily therapeutic. It follows the principle of an analytical reflection group by utilizing a behavior-modifying attitude. The participants can become aware of their own preconscious involvement in a “difficult” external relationship within, and with the help of the expert group. Unconscious or preconscious libidinal ties, the dynamics between an expert and his or her patient can be analyzed through a “representative process” within a standardized group, led by experts. The question of virtual groups is also reflected.

* Hinweis zur Gendergerechtigkeit: Der gesamte Text ist an Menschen aller Geschlechtsvarianten gerichtet ist. Dort, wo keine Sinnverfremdung oder sprachliche Komplikation gegeben ist, wird diesem Umstand durch Anfügen eines hochgestellten „(m/w/i)“ für „männlich, weiblich, intersexuell“ Rechnung getragen, zumal der Gebrauch von Asterisk(*), tiefem Bindestrich(_), Binnen- oder Schrägstrich(/) im deutschsprachigen Raum nicht einheitlich geregelt ist.




Publication History

Article published online:
15 December 2021

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