intensiv 2022; 30(01): 48-49
DOI: 10.1055/a-1669-6575
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Tatort Krankenhaus

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Beine KH. Tatort Krankenhaus. Ein kaputtes System macht es den Tätern leicht. München: Droemer TB; 2021. ISBN 978-3-426-30187-6, 272 S., 9,99 €

Das Buch behandelt Tötungsserien im Krankenhaus, beleuchtet also das Arbeits- und Handlungsfeld der Akutversorgung. Trotzdem ist der Band auch für andere Handlungsfelder relevant, da es auch hier Gewalttaten bis hin zu Tötungen von Schutzbefohlenen gibt und zum Teil ähnliche Mechanismen wirksam sind.

Der Autor, Karl H. Beine, ehemaliger Chefarzt und Professor für Psychiatrie, ist ein Kenner und Experte der Thematik, und das schon seit vielen Jahrzehnten. Beine hat viele einschlägige Publikationen, auch eigene Forschungsarbeiten, zu dem Phänomen der Tötung von Schutzbefohlenen veröffentlicht. Dieser Band ist eine komplette Neubearbeitung seines 2017 zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Jeanne Turczynski veröffentlichten Buches gleichen Titels.

Schon im Vorwort wird das grundlegende Dilemma der Gesundheitsversorgung dargelegt: zu wenige schlecht bezahlte Helfer, zu viel Arbeit und ein Klima, das die Hemmschwelle für Verbrechen sinken lässt, das Wegschauen begünstigt und die Aufdeckung von Straftaten erschwert. Die äußeren Umstände plus die spezifischen Persönlichkeitsmerkmale der Täterinnen und Täter lösen zusammen eine „destruktive Abwärtsspirale“ aus (S. 7). Ergebnisse einer eigenen Studie untermauern die Behauptungen. Deshalb reicht auch nicht nur der Blick auf die Täterinnen und Täter, sondern „hinzukommen muss der Blick auf eine Krankenhauswirtschaft, die vermeidbare Krankenhausaufenthalte verursacht, gleichzeitig Personal abbaut und die Beschäftigten zwingt, permanent gegen eigene fachliche und ethische Ansprüche zu verstoßen“ (S. 17).

Beine arbeitet auf den folgenden Seiten die Missstände in deutschen Krankenhäusern heraus, stellt die Auswirkungen der Ökonomisierung dar, beleuchtet die frustrierende Situation der Pflegenden am Limit und zeigt auf, dass Fehlermeldungen (wie mit dem System CIRS) niemanden wirklich interessieren, oftmals nicht bearbeitet und keine Konsequenzen gezogen werden.

In einem umfangreichen Kapitel folgt die dezidierte Darstellung und Analyse von vier Tötungsserien in Deutschland, neben dem aktuell präsenten Fall Niels H. werden noch die älteren Fälle Irene B., Stephan L. und Wolfgang L. dargelegt. Was die Tätergruppen eint, ist ihre „primäre Selbstunsicherheit, ihre Unfähigkeit, Leidenszustände zu begleiten und mitzutragen und die eigene Ohnmacht hinzunehmen“ (S. 150).

Das lange Unentdecktbleiben der Taten führt Beine auf Führungsversagen zurück, auf mangelnden Aufklärungswillen und ein Arbeitsklima, in dem sich die Grenzen immer weiter verschieben und Gewalt und Aggression teilweise offen sichtbar zutage treten, allerdings ohne Konsequenzen.

In einem ebenfalls längeren Kapitel mit dem Titel „Patient Krankenhaus“ werden noch einmal die anfangs nur knapp dargelegten Fehlentwicklungen in der Klinik aufgezeigt. Vor allem der Wandel hin zu einer „Gesundheitswirtschaft“ ist für Beine eine fatale Entwicklung mit gravierenden Folgen.

In einem knappen „Plädoyer für eine Systemkorrektur“ macht der Autor Vorschläge, wie sich Tötungsserien verhindern lassen: die Auffälligkeiten (wie beispielsweise vermehrter Verbrauch bestimmter Medikamente) erkennen und nachverfolgen, mehr Personal und mehr Zeit, verbesserte Aus- und Weiterbildung, aber auch das Erlernen vom Umgang mit hohen Anforderungen, Konfliktprophylaxe und grundlegende Veränderungen der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen.

Im Anhang sind Tötungsserien im In- und Ausland tabellarisch aufgeführt, dabei werden unter anderem sowohl die Tötungsart, die Zahl der Todesopfer und Verdachtsfälle als auch die Frage der Schuldfähigkeit aufgezeigt. Es sind Tabellen des Schreckens …

Ein Glossar und das Literaturverzeichnis schließen den Band ab.

Empfehlenswert ist das Buch aus vielerlei Gründen, für mich ist immer wieder der unheilvolle Zusammenhang zwischen den Rahmenbedingungen der Pflege und den Merkmalen der Täterinnen und Täter ein Punkt, über den es sich lohnt, weiter nachzudenken.

Dr. Heiner Friesacher

intensiv-Herausgeber



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Article published online:
03 January 2022

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