Zeitschrift für Phytotherapie 2022; 43(03): 136-137
DOI: 10.1055/a-1664-6306
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Ein Leben mit und für die Arzneipflanzen: Nachruf auf Prof. Dr. Otto Sticher

Während 30 Jahren war Prof. Dr. Otto Sticher Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakognosie und Phytochemie an der ETH in Zürich. Er prägte das Grundlagenwissen vieler Studierender zum Thema Arzneipflanzen mit seiner Vorlesung und darüber hinaus mit seinem innovativen Lehrbuch „Phytochemie und Phytopharmazie“ die Kenntnisse von Apothekern, ÄrztInnen und anderen Wissenschaftern. Am 11. März 2022 ist nun Professor Dr. Otto Sticher im 86. Altersjahr unerwartet in Ebmatingen, in seinem Haus, in dem er während Jahrzehnten gewohnt hat, verstorben.

Wir verlieren damit einen Freund, der es verstand, für die Arzneipflanzen Begeisterung zu wecken. Am 8. Oktober 1936 in Hochdorf im Kanton Luzern in der Schweiz geboren, wurde er 1972 als Nachfolger seines Lehrers Hans Flück zum a.o. Professor für Pharmakognosie an der ETH in Zürich ernannt und wirkte, ab 1979 als Ordinarius, bis 2002 an dieser Stelle. Er erfreute seine Studierenden ab seinem ersten Semester als Dozent mit einem hervorragenden Skript – damals, als noch kein Power Point zur Verfügung stand, eine immense Arbeit. Er legte dabei Wert auf die Inhaltsstoffe der Arzneipflanzen und daraus abgeleitet deren Wirksamkeit. Legendär waren die fest im Lehrplan verankerten zweitägigen pharmakobotanischen Exkursionen in verschiedenste Gebiete der Schweiz, die regelmäßig jedes Jahr zum Abschluss des Sommersemesters stattgefunden haben.[]

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Otto Sticher (1936–2022). Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Foto: Birgit Hemm

Er machte innert Kürze sein Institut weltberühmt, da er die neusten Entwicklungen der Arzneipflanzenforschung aufnahm und in attraktive Projekte umsetzte. Er motivierte während dreißig Jahren viele junge Wissenschafter in verschiedensten Gebieten der Naturstoffforschung, so auch Qualität pflanzlicher Arzneimittel und Ethnopharmakologie zu außerordentlichen Leistungen. Dabei ließ er der Kreativität seiner Mitarbeitenden freien Lauf, was zu einer stimulierenden Umgebung führte. So ermöglichte er etwa dem Schreibenden ins damals komplett neue Gebiet der HPLC einzutauchen und neue Wege der Gehaltsbestimmung zu beschreiten. Kurt Hostettmann erhielt bei ihm ein Sprungbrett für seine Professur an der Universität Lausanne und heute in der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie aktive respektive aktiv gewesene Apothekerinnen wie Beatrix Falch, Barbara Frei-Haller und Rita Bubenhofer sind dankbar, ihn als Lehrer gehabt zu haben. Jürg Gertsch, einer seiner letzten Doktoranden, unterrichtet mittlerweile an der Universität Bern die Studierenden der dort wieder auferstandenen Pharmazie. Otto Sticher motivierte die Genannten und viele andere, einen beruflichen Werdegang mit den Arzneipflanzen im Fokus zu beschreiten.

Nach seiner Pensionierung widmete sich Otto Sticher mit Akribie dem Lehrbuch „Pharmakognosie und Phytopharmazie“: Aus dem Hänsel/Steinegger wurde ein Hänsel/Sticher: Das Buch vermittelt ein umfassendes Wissen der phytochemischen Basis der Anwendung von in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlichen Arzneipflanzen und deren Zubereitungen. Es wird noch lange Bestand haben und begeistern.

Otto Sticher blieb in all den Jahren ein Apotheker mit Herzblut. 1965 ist er dem damaligen Schweizer Apothekerverein beigetreten und blieb, anlässlich seiner Pensionierung zum Freimitglied ernannt, bis zu seinem Tod Mitglied. Vor diesem Hintergrund ist sein großes Engagement für die Anliegen der Pharmakopöen weltweit zu verstehen. 1972 übernahm er die ersten Aufgaben im Rahmen der „Subkommission Arzneidrogen und Drogenzubereitungen“, heute „Fachausschuss Phytochemie“, um erst 2013 dieses Engagement zu beenden. Die Europäische Pharmakopöe wurde in dieser Zeit immer bedeutender und nachdem in deren ersten Ausgabe nur wenige Drogen monographiert waren, steigerte sich ihre Anzahl sukzessive, sehr zur Freude Stichers, der sein Engagement damit belohnt sah. Dies auch dank seiner vierzehnjährigen Mitarbeit in Straßburg. Daneben half er mit, die Erfahrungen aus der Schweiz und Europa der WHO und der USP weiterzugeben als Mitglied gewichtiger Kommissionen. Gerne erzählte er von besonderen Sitzungen, die jeweils im gemütlichen Kreis unter Kolleginnen und Kollegen an besonderen Orten endeten.

Otto Sticher pflegte die internationalen Kontakte. Besonders verbunden war er den Kollegen in den USA, die er regelmäßig beim alljährlich stattfindenden Kongress der „American Society of Pharmacognosy“ getroffen hat. Entsprechend war er Honorary Member and Fellow dieser Gesellschaft. Sein Interesse an der Ethnopharmakologie führte ihn auf mitunter abenteuerliche Reisen in entlegenste Gegenden der Welt. Wichtig war ihm insbesondere die „Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung und Naturstoffchemie GA“. Er förderte als deren Präsident in den Jahren 1978–1983 die Internationalisierung des ursprünglich deutschen Vereins und stand dafür ein, dass die Arzneipflanzenforschung in der Planta Medica ein eigenes, hochstehendes Publikationsorgan hatte. In den Jahren 1977 und 2000 war er dann auch Organisator der Jahrestagung der GA. Aus einem kleinen Anlass war in der Zwischenzeit ein Event geworden.

Otto Sticher erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so 2011 die Egon Stahl Medaille in Gold durch die GA und 2019 den vom American Botanical Council vergebenen Norman R. Farnsworth Award für „Excellence in Botanical Research“. Er war auch Ehrendoktor der School of Pharmacy am University College in London (seit 2002). Hunderte von Publikationen werden noch lange an Otto Sticher erinnern.

Die Pharmazie und die Phytotherapie verliert mit ihm einen der letzten großen Lehrer der Pharmakognosie, einem Fachgebiet, das in den letzten Jahrzehnten mit der Umwandlung in die Pharmazeutische Biologie leider einem für die Erforschung der Arzneipflanzen wenig produktiven Spezialistentum weichen musste. Eine in seinem Fachgebiet adäquate Nachfolge an der ETH wurde ihm nicht gegönnt.

Obwohl er privat nicht von großen Schicksalsschlägen verschont blieb, war Otto Sticher allen ein treuer Freund, der mit seiner Bescheidenheit und Zuverlässigkeit in Erinnerung bleibt. Seine Frau Miriam war ihm in all den Jahren des Erfolgs eine treue Begleiterin. Ihr und der Familie gehört unser Beileid, verbunden mit der Genugtuung, an einem erfüllten Leben teil gehabt zu haben.

In stillem Gedenken
Beat Meier



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Article published online:
19 July 2022

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